Femizide und Beziehungstötungen

Als Opferanwältin sehe ich täglich, wie Opfer oder deren Angehörige es als tiefe Entwertung erleben, wenn Taten wie Femizide rechtlich als „Trennungstötung“ oder einfache Beziehungstat verharmlost werden. Diese Tatformen sind Ausdruck strukturellen Frauenhasses – aber deutsche Gerichte erkennen sie oftmals nicht per se als Mord, sondern ordnen sie je nach Tatumständen milder ein.


Rechtslage

  • Femizide könnten als Mord mit niedrigen Beweggründen qualifiziert werden, wenn klar wird, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet wurden
  • Das Problem: Frauenhass bleibt oft verdeckt, wird nicht analysiert und damit in der Strafzumessung verborgen, obwohl die Berücksichtigung nach § 46 StGB zur Ermittlung einer angemessen Strafe erforderlich wäre


 

Derzeit existiert im deutschen Strafrecht kein spezieller Straftatbestand, der Femizide gesondert erfasst. Gerichte müssen solche Taten daher entweder unter § 211 StGB (Mord, hier als niedriger Beweggrund) oder § 212 StGB (Totschlag) einordnen, wobei § 46 StGB bei der Strafzumessung herangezogen werden kann – etwa bei menschenverachtenden Motiven. Die besondere Verwerflichkeit eines Femizids ergibt sich meist aus der Motivation: Frauenhass oder der Wunsch nach Kontrolle über die Frau. Dies legt nahe, solche Taten als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten. 


Im Strafrecht gelten „sonstige niedrige Beweggründe“ als besonders verwerfliche Tatmotive, die eine Tötung zur Qualifikation als Mord im Sinne des § 211 StGB führen können. Der Bundesgerichtshof (BGH) definiert diese als Motive, die aus Sicht der Allgemeinheit auf einer besonders niedrigen sittlichen Stufe stehen und von hemmungsloser, triebhafter Eigensucht geprägt sind. Diese Kategorie dient dazu, Taten besonders scharf zu sanktionieren, wenn sie etwa aus Neid, Wut, Rache oder Hass begangen werden, ohne dass die Situation objektiv Anlass zu einer solchen Eskalation gibt. 


Trennungstötungen beim Bundesgerichtshof

 „Trennungstötungen“ durch Männer an ihren (Ex-)Partnerinnen werden von Gerichten häufig lediglich als Totschlag nach § 212 StGB bewertet. Diese rechtliche Einordnung spiegelt oft ein gewisses Verständnis für die emotionale Lage des Täters wider. So wurde etwa in einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2003 argumentiert, dass die Verzweiflung und empfundene Ausweglosigkeit des Täters eine besonders verwerfliche Motivation – also einen niedrigen Beweggrund im Sinne des Mordmerkmals – ausschließe. 


Affektgesteuerte Taten ohne nachvollziehbaren Anlass

Unter diese Fallgruppe der femiziden Tötungsdelikte fallen Tötungshandlungen, die durch emotionale Impulse wie Rache, Eifersucht, Zurückweisung oder Hass ausgelöst werden, obwohl kein nachvollziehbarer, mildernder Anlass vorliegt. Wird eine Frau etwa getötet, weil sie sich dem Machtanspruch eines Mannes entzieht – etwa durch Trennung oder Selbstbestimmung – und ist die Tat wesentlich durch frauenfeindliche Haltung motiviert, kann dies als Ausdruck struktureller Misogynie gewertet werden. In solchen Fällen liegt ein „sonstiger niedriger Beweggrund“ vor, da das Leben der Frau aus einer verachtenden Grundhaltung heraus für bedeutungslos erklärt wird. 
Auch wenn eine Frau aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe „Frauen“ getötet wird – sei es aus Hass auf Frauen allgemein oder um patriarchale Ordnung zu „wiederherzustellen“ – liegt eine gezielte, gruppenbezogene Entmenschlichung vor, die vergleichbar mit anderen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten (etwa rassistisch motivierte Tötungen) ebenfalls unter die Mordmerkmale zu fassen ist. 


Taten mit instrumentellem Charakter zur Aufrechterhaltung patriarchaler Kontrolle

In diese Fallgruppe gehören Tötungen, bei denen das Opfer als Mittel zur Durchsetzung egoistischer oder patriarchaler Ansprüche benutzt wird. Ein typisches Beispiel sind sogenannte Trennungstötungen, bei denen der Täter die Frau tötet, weil sie sich von ihm getrennt hat und er den „Verlust“ nicht akzeptiert. Ziel ist nicht selten, den als Eigentum verstandenen Anspruch auf Kontrolle und Besitz aufrechtzuerhalten – ein Motiv, das tief in patriarchalen Denkmustern verwurzelt ist. Auch Ehrenmorde können hierunter fallen, wenn sie der Wiederherstellung einer als verletzt empfundenen (männlichen oder familiären) Ehre dienen. Das Opfer – stets weiblich – wird in diesen Fällen getötet, um die Ordnung wiederherzustellen, wobei die „Schande“ ausschließlich auf ihr Frausein zurückgeführt wird. 


Gerichte müssten daher konsequent prüfen, ob sich die Tatmotive nicht unter diese besonders verwerflichen Beweggründe subsumieren lassen. Der strukturelle Frauenhass, der sich in Femiziden manifestiert, erfüllt nach geltender Definition regelmäßig die Anforderungen an einen „niedrigen Beweggrund“. Eine solche rechtliche Einordnung ist nicht nur strafverschärfend möglich, sondern aus einer geschlechtergerechten Strafrechtspraxis heraus auch notwendig. 



Praxisprobleme

Frauenhasse ist zwar häufig zentrale Antriebskraft hinter der Tötung von Frauen, jedoch werden diese Motive von Gerichten selten klar als solche benannt oder erkannt. Besonders in Fällen von Trennungstötungen oder sogenannten „Ehrenmorden“ wird die Tat häufig im Kontext individueller Emotionalität – etwa der Wut über die Trennung oder der empfundenen Ehrverletzung – bewertet, was dazu führt, dass eine Einordnung als Mord unter dem Gesichtspunkt niedriger Beweggründe oft ausbleibt. Stattdessen werden diese Handlungen unterschiedlich rechtlich behandelt, obwohl ihnen ähnliche patriarchale Strukturen zugrunde liegen. 

Gerade bei Trennungstötungen führt das Vorliegen eines sogenannten „Motivbündels“ häufig dazu, dass Gerichte die Tat nicht als Mord aus niedrigen Beweggründen qualifizieren. Die Eifersucht oder die Verletzung des männlichen Selbstwertgefühls werden dabei als „menschlich nachvollziehbare“ Reaktionen auf das Verlassenwerden interpretiert. Solche Emotionen gelten in der richterlichen Bewertung oft nicht als verwerflich, sondern werden vielmehr als verständlich oder zumindest erklärbar gewertet. Der Bundesgerichtshof formulierte dazu in einem Urteil, der Täter beraube sich durch die Tat gerade dessen, „was er eigentlich nicht verlieren will“ – eine Aussage, die implizit den Besitzanspruch des Mannes über die Frau anerkennt und dadurch sogar auf höchstrichterlicher Ebene zur Reproduktion patriarchaler Objektivierung von Frauen beiträgt. Eine kritische Analyse der geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse bleibt in der juristischen Bewertung somit zumeist aus. 

Im Gegensatz dazu erkennt der Bundesgerichtshof bei sogenannten Ehrenmorden regelmäßig das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe an. Begründet wird dies mit der Orientierung an den Wertvorstellungen der Bundesrepublik Deutschland, nach denen die Tötung eines Menschen zur Wiederherstellung vermeintlicher Ehre als besonders verwerflich und sittlich auf tiefster Stufe stehend bewertet wird. Hier zeigt sich eine deutliche Ungleichbehandlung: Während Ehrenmorde – insbesondere aufgrund ihres kulturell als „fremd“ wahrgenommenen Hintergrunds – juristisch scharf verurteilt werden, gelten Trennungstötungen oftmals als tragische, aber verständliche emotionale Eskalationen. 

Dabei ist die Motivlage in beiden Fällen strukturell vergleichbar: In beiden Konstellationen stehen patriarchale Machtansprüche und die Kontrolle über die Frau sowie ihre Sexualität im Zentrum. Beide Male dient die Tat der Wiederherstellung männlicher Dominanz – sei es als „Ehre“ oder als „Verlustverarbeitung“. Während Ehrenmorde als kulturell andere und daher als besonders befremdlich wahrgenommen werden, erscheinen Trennungstötungen eher als Ausdruck individueller Überforderung. Dadurch entsteht eine verzerrte Wahrnehmung, in der frauenverachtende Gewalt durch Männer in der Mehrheitsgesellschaft normalisiert und nicht ausreichend problematisiert wird. 

Diese Differenzierung in der juristischen Bewertung führt letztlich dazu, dass eine umfassende geschlechtersensible Analyse von Frauentötungen durch die Rechtsprechung weitgehend fehlt. Die notwendige Einordnung als Femizid – also als strukturell motivierte Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – unterbleibt. Darüber hinaus wird die gesamtgesellschaftliche Diskussion um Geschlechterungleichheit in gefährlicher Weise externalisiert: Die Problematik von Femiziden wird häufig auf migrantische oder muslimisch geprägte Milieus projiziert. Dadurch wird die Gewalt gegen Frauen nicht als gesamtgesellschaftliches, sondern als „kulturell fremdes“ Problem markiert – und eine kritische Auseinandersetzung mit patriarchalen Mustern innerhalb der Mehrheitsgesellschaft unterbleibt. 


Warum das aus Sicht der Opferanwältin elementar ist

  • Signalwirkung: Opfer und Angehörige erfahren gesellschaftliche Wertschätzung.
  • Gerechtigkeitsempfinden: Verurteilung als Femizid vermittelt: Es handelte sich um vorsätzliche, geschlechtsspezifische Gewalt – kein „Trennungsausnahmefall“.
  • Prävention durch Klarheit: Klare Strukturen im Strafrecht senden klares Signal an potenzielle Täter.



Fazit

Aus Opfersicht sind Femizide nicht einfach nur Tötungsdelikte, sondern extreme Ausprägungen von patriarchaler Gewalt – mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Die Schaffung eines spezifischen Straftatbestandes oder wenigstens eines geschlechtsspezifischen Strafschärfungsgrundes ist ein unabdingbarer Schritt zur Stärkung des Opferschutzes und zur Anerkennung der besonderen Schwere dieses Tatmusters. In Kombination mit besserer Datenlage, Schulung von Justizakteur:innen und strukturellem Wandel kann dies die Rechtsprechung endlich dem entsprechen, was Opfer und Tochtergesellschaften erwarten: klare, entschlossene Strafverfolgung von Femiziden.


Benötigen Sie eine Opferanwältin, weil an Ihnen ein versuchter Femizid begangen wurde oder wurde jemand in Ihrer Familie getötet? Kontaktieren Sie uns gerne. Wir helfen weiter!