Frauen als Beschuldigte in Strafverfahren
Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 528.823 Männer und 118.551 Frauen rechtskräftig verurteilt. Damit sind unter 20% der verurteilten Personen Frauen.
Frauen als Beschuldigte in Strafverfahren stehen vor besonderen Herausforderungen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen. Als Strafverteidiger ist es wichtig, die spezifischen Bedürfnisse und Umstände von weiblichen Mandanten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
Rechtliche Rahmenbedingungen
In Deutschland ist die Strafverfolgung geschlechtsneutral, was bedeutet, dass die gesetzlichen Regelungen für Männer und Frauen gleichermaßen gelten. Dennoch können sich die Auswirkungen und der Verlauf eines Strafverfahrens für Frauen anders gestalten. Als Strafverteidiger ist es entscheidend, die rechtlichen Grundlagen und die besondere Situation von Frauen zu berücksichtigen:
- Gleichbehandlung vor dem Gesetz: Gemäß Artikel 3 des Grundgesetzes sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dies bedeutet, dass Frauen als Beschuldigte dieselben Rechte und Pflichten haben wie Männer. Der Strafverteidiger muss sicherstellen, dass die Mandantin fair und ohne Diskriminierung behandelt wird.
- Besondere Schutzvorschriften: In einigen Fällen gibt es besondere Schutzvorschriften, die auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen Rücksicht nehmen. Beispielsweise kann im Falle einer Schwangerschaft besondere Rücksicht genommen werden, und es gibt spezielle Bestimmungen für die Unterbringung in Haftanstalten.
Soziale und psychologische Aspekte
Frauen als Beschuldigte in Strafverfahren können vor spezifischen sozialen und psychologischen Herausforderungen stehen, die die Verteidigung beeinflussen können:
- Stigmatisierung und gesellschaftlicher Druck: Frauen, die eines Verbrechens beschuldigt werden, können zusätzlichen sozialen Druck und Stigmatisierung erfahren. Die Verteidigung muss diesen gesellschaftlichen Druck erkennen und entsprechend sensibel darauf reagieren.
- Betreuungsverantwortung: Viele Frauen sind primäre Bezugspersonen für ihre Kinder oder andere pflegebedürftige Familienmitglieder, insbesondere in klassischen Rollenverteilungen. Die Inhaftierung oder längere Gerichtsverfahren können erhebliche Auswirkungen auf ihre Familien haben. Der Strafverteidiger sollte diese Aspekte berücksichtigen und gegebenenfalls alternative Maßnahmen zur Untersuchungshaft vorschlagen.
- Psychologische Belastung: Frauen können aufgrund von Geschlechterrollen und sozialen Erwartungen besondere psychologische Belastungen erfahren. Dies kann zu zusätzlichen Stresssituationen und emotionalen Herausforderungen führen, die die Verteidigung berücksichtigen muss.
Spezifische Verteidigungsstrategien
Die Verteidigung von Frauen in Strafverfahren erfordert spezifische Strategien, die auf ihre individuellen Bedürfnisse und Umstände eingehen:
- Individuelle Analyse und Betreuung: Der Strafverteidiger muss eine gründliche Analyse des Falls durchführen und dabei die individuellen Umstände der Mandantin berücksichtigen. Dies umfasst nicht nur die rechtlichen Aspekte, sondern auch soziale und psychologische Faktoren.
- Berücksichtigung der Betreuungsverantwortung: Wenn die Mandantin Betreuungsverantwortung trägt, sollte der Verteidiger dies bei der Argumentation für alternative Maßnahmen zur Untersuchungshaft betonen. Hausarrest, Meldepflichten oder andere Maßnahmen können vorgeschlagen werden, um die Betreuung der Familie sicherzustellen.
- Unterstützung bei psychologischen Belastungen: Der Strafverteidiger sollte die Mandantin bei der Bewältigung psychologischer Belastungen unterstützen. Dies kann die Empfehlung von psychologischer Betreuung oder die Vermittlung von Selbsthilfegruppen umfassen.
- Sensibilisierung für gesellschaftlichen Druck: Der Strafverteidiger muss sich der zusätzlichen gesellschaftlichen Stigmatisierung bewusst sein, der Frauen als Beschuldigte ausgesetzt sein können. Dies erfordert eine sensible und empathische Herangehensweise in der Kommunikation und Verteidigungsstrategie.
Beispiele aus der Praxis
Um die theoretischen Überlegungen zu verdeutlichen, können einige praktische Beispiele herangezogen werden:
- Häusliche Gewalt: Frauen, die sich gegen häusliche Gewalt zur Wehr setzen und dabei eine Straftat begehen, können vor besonderen rechtlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Der Strafverteidiger muss hier die Hintergründe der Tat sorgfältig analysieren und gegebenenfalls mildernde Umstände geltend machen. In vielen Fällen kommt hier die klassische Notwehr in Betracht.
- Wirtschaftskriminalität: In Fällen von Wirtschaftskriminalität, bei denen Frauen in leitenden Positionen beschuldigt werden, kann der gesellschaftliche Druck besonders hoch sein. Hier muss der Strafverteidiger nicht nur die rechtlichen Aspekte, sondern auch die beruflichen und sozialen Auswirkungen der Vorwürfe berücksichtigen. Die häufigsten Delikte, die Frauen in Deutschland ausüben, sind Ladendiebstähle und Betrugsvergehen. Dem liegt nicht selten ein finanziell familiärer Druck zugrunde, den sie nicht anders bewältigen sehen. Armutsdelikte sind also bei Frauen deutlich vorherrschend.
- Drogenmissbrauch und Abhängigkeit: Frauen, die aufgrund von Drogenmissbrauch oder Abhängigkeit straffällig werden, benötigen eine besondere Betreuung und Unterstützung. Der Strafverteidiger sollte hier eng mit sozialen Diensten und Rehabilitationseinrichtungen zusammenarbeiten.
- Körperverletzung, Bedrohung, Stalking, Vandalismus: Tendenziell gelten Frauen als das weniger aggressive Geschlecht. Das legen auch die Statistiken zugrunde. Deutlich weniger Frauen sind involviert in körperliche Auseinandersetzungen als Beschuldigte. Verbale oder distanziere Deliktsbilder finden sich dagegen schon häufiger: Bedrohungen und Nachstellungen kommen auch bei Frauen gehäufter vor. Sachbeschädigungen rühren häufig aus emotionalen Sondersituationen und dabei häufig aus dem engsten Beziehungskreis. Eher selten finden sich Gewaltverfahren oder Sexualverfahren gegen Männer - was nicht bedeutet, dass es diese nicht gibt. Sie werden jedoch kaum angezeigt.
Fazit
Frauen als Beschuldigte in Strafverfahren in Deutschland stehen vor spezifischen Herausforderungen, die eine differenzierte und sensible Verteidigung erfordern. Aus Sicht eines Strafverteidigers ist es entscheidend, die rechtlichen Rahmenbedingungen, die sozialen und psychologischen Aspekte sowie die individuellen Bedürfnisse der Mandantin zu berücksichtigen. Durch eine gründliche Analyse des Falls, die Berücksichtigung von Betreuungsverantwortung, die Unterstützung bei psychologischen Belastungen und eine sensible Herangehensweise kann der Strafverteidiger dazu beitragen, eine faire und gerechte Behandlung der Mandantin zu gewährleisten und ihre Rechte effektiv zu verteidigen.
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