Wie erstattet man Anzeige wegen Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch?
Als Anwältin für Opferrechte stehe ich immer wieder Opfern oder Eltern zur Seite, die mit der erschütternden Nachricht konfrontiert werden, dass ihr Kind Opfer eines sexuellen Missbrauchs wurde. In dieser emotional extrem belastenden Situation ist es entscheidend, überlegt und im Interesse des Kindes zu handeln. Nachfolgend gebe ich einen Überblick, wie Eltern in Deutschland eine Strafanzeige erstatten können und welche Aspekte beachtet werden sollten, um das Kind bestmöglich zu schützen.
1. Ruhe bewahren und Unterstützung suchen
Der erste und wichtigste Schritt ist, Ruhe zu bewahren. Auch wenn die Wut, Verzweiflung oder Ohnmacht überwältigend sein können, benötigt das Kind in diesem Moment ein stabiles und beruhigendes Umfeld. Eltern sollten sich umgehend an Fachleute wenden, beispielsweise spezialisierte Rechtsanwälte, um Unterstützung und erste Handlungsanweisungen zu erhalten.
Wichtig für das Strafverfahren wäre, nicht zu eindringlich auf das Kind einzureden oder es direkt durch die Einwirkung fremder Menschen zu überfordern und zu beeinflussen. Fremdsuggestionen müssen für eine gute und glaubhafte Aussage des Kindes dringend vermieden werden. Wenn die intensive Betreuung zu Beispiel durch Therapeuten in dieser Art für den Gesundheitszustand Ihres Kindes unerlässlich ist, hat das jedoch natürlich Priorität vor einem Strafverfahren.
Wichtige Anlaufstellen für die Anzeigenerstattung:
- Polizei: Hier kann die Anzeige direkt vor Ort erstattet werden.
- Jugendamt: Dieses kann beratend tätig werden und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen für das Kind ergreifen, insb. wenn enge Familienangehörige in den Vorwurf involviert sind.
- Opferschutzorganisationen: Einrichtungen wie der Weiße Ring bieten ebenfalls Beratung und Begleitung an.
- Opferanwälte: Hier erhalten Sie eine gut vorbereitete Einleitung des Strafverfahrens und die Klärung Ihrer Fragen. Bei Opferschutzorganisationen wie zum Beispiel dem Weißen Ring gibt es für das Beratungsgespräch mit einem Anwalt einen Kostenscheck für Ihre finanzielle Entlastung.
2. Wie erstattet man eine Strafanzeige?
Eine Strafanzeige kann in Deutschland auf verschiedenen Wegen erfolgen:
- Persönlich bei der Polizei: Man kann direkt eine Polizeidienststelle aufsuchen und dort Anzeige erstatten. Oftmals wird sodann eine kurze Vernehmung durchgeführt. Da Vernehmungen im Bereich der Sexualdelikte durch KriPo-Beamte in einer bestimmten Sexualdelikteabteilung durchgeführt werden sollten, ist die Vernehmung bei Anzeigenerstattung durch die allgemeine Abteilung oft wenig ausführlich und nur selten sinnvoll. Um durch die hieraus entstehenden Inhalte Missverständnisse oder spätere Widersprüche zu vermeiden, ist diese Art und Weise der Anzeigenerstattung bei derart schwerwiegenden Vorwürfen mit besonderer Beweislage nach Möglichkeit eher weniger zu empfehlen.
- Schriftlich: Die Anzeige kann auch schriftlich bei der Staatsanwaltschaft oder Polizei eingereicht werden. Hier muss beachtet werden, dass derartige Schriftstücke ohne vorherige telefonische Absprache verloren gehen können. Eine telefonische Absprache mit schriftlicher Anzeige ist durchaus eher zu empfehlen, als direkt zur Polizeidienststelle zu gehen, da hierdurch oft eine Vernehmung mit Sexualdelikteabteilung direkt vereinbart werden kann.
- Telefonisch: Einige Bundesländer bieten spezielle Telefonnummern für Hinweise und Anzeigen an.
- Online: Diese Art und Weise ist am effektivsten. Google hilft hier, die richtige Website der Landeskriminalämter zu finden. Nutzen Sie zwingend die richtige Website und gehen Sie nicht über Drittanbieter. Man kann den Sachverhalt sodann kurz und präzise zusammenfassen. Die Zuordnung der Anzeige zur richtigen Stelle funktioniert hier sogar am schnellsten. Man wird sodann (bestenfalls zeitnah) zu einer Vernehmung bei der Sexualdelikteabteilung eingeladen. Polizeidienststellen empfehlen im Übrigen selbst diesen Weg.
- Über eine Anwältin: Eine Anzeige über die Anwältin mit vorheriger Beratung ist sicherlich die sicherste Art und Weise der Anzeigenerstattung. So könnten Fehler direkt von Anfang an durch eine bedachte Verfahrensvorbereitung vermieden werden.
Wichtig:
- Geben Sie möglichst präzise Angaben zum Verdacht, zu möglichen Tätern und den Umständen des Missbrauchs an. Überlegen Sie, ob es aus Ihrer Sicht Anhaltspunkte gab, die auf einen Missbrauch hindeuteten (auch Sie als Eltern werden im Regelfall dazu vernommen). Überlegen Sie auch, ob es noch andere Beweismittel geben könnte, zum Beispiel verdächtige Chatverläufe oder Briefe, ggf. sogar Zeugen.
- Eine einmal erstattete Anzeige wegen des Vorwurfs schwerwiegender Sexualdelikte kann nicht wieder zurückgenommen werden.
- Bei Beschuldigten im engen Familienkreis besteht in vielen Fällen ein Zeugnisverweigerungsrecht für das Kind - sonst nicht! Kinder werden jedoch selten zur Abgabe einer Aussage gezwungen, wenn kein Zeugnisverweigerungsrecht besteht.
3. Schutz des Kindes an erster Stelle
Der Schutz und das Wohlergehen des Kindes haben höchste Priorität. Folgende Maßnahmen helfen, das Kind in dieser schwierigen Situation zu schützen:
a) Vermeidung von Mehrfachbefragungen
Kindern fällt es häufig schwer, mehrfach über das Erlebte zu sprechen, ohne erneut traumatisiert zu werden. In Deutschland gibt es wie bereits angesprochen in den Sexualdelikteabteilungen der Polizeibehörden spezialisierte Ermittlerteams, die auf eine kindgerechte Befragung spezialisiert sind. Diese Teams verwenden videografierte Befragungen (sog. audio-visuelle Vernehmung), die in einem geschützten Rahmen durchgeführt werden.
Achten Sie hierzu auf die schonendste Art und Weise der Anzeigenerstattung und fragen Sie wenn nötig die audio-visuelle Vernehmung an. Auch sollte das Kind im besten Fall ausreichend sachdienliche Angaben zum Vorwurf machen können, damit eine Nachvernehmung nicht erforderlich wird (dies vermögen Sie jedoch kaum zu beeinflussen).
b) Kein Druck auf das Kind
Das Kind sollte niemals gedrängt werden, über den Vorfall zu sprechen. Warten Sie ab, bis es von sich aus bereit ist, und vertrauen Sie darauf, dass Fachleute wissen, wie sie das Gespräch mit dem Kind führen können.
c) Überforderung vermeiden
Ihre eigene Überforderung wird sich auf das Kind übertragen. Versuchen Sie, so sicher wie möglich vorzugehen und damit auch Ihrem Kind das geschützte Umfeld zu geben, das es braucht. Lassen Sie sich hierzu am besten zum pädagogischen Vorgehen von Therapeutinnen oder Opferschutzorganisationen beraten und zum rechtlichen Vorgehen von Opferanwältinnen und ggf. Familienrechtsanwältinnen.
d) Beeinflussung vermeiden
Eine Beeinflussung des Kindes durch Sie als Eltern mit Blick auf Erinnerungen, Wahrnehmungen oder dem sonstigen Aussagegehalt des Kindes sollten dringend vermieden werden. Im fachlich besten Fall vermeiden Sie Gespräche mit dem Kind über den Vorwurf.
e) Kontaktverbot oder familienrechtliche Maßnahmen
Überlegen Sie, ob ein Gewaltschutzverfahren (Kontaktverbot) gegen den Beschuldigten sinnvoll ist und lassen Sie sich hierzu anwaltlich beraten. Die Frist beträgt in den meisten Fällen zwei Wochen ab Tatbegehung.
Bei Beschuldigten unter Elternteilen wird es im Regelfall zu Sorgerechts- und Umgangsproblematiken kommen. Holen Sie sich zusätzlichen Rat von einer Fachanwältin für Familienrecht ein.
4. Begleitung durch eine Rechtsanwältin
Eine Anwältin, die auf Opferrechte spezialisiert ist, kann in dieser Situation eine entscheidende Unterstützung sein. Sie stellt sicher, dass:
- die Rechte des Kindes im Verfahren gewahrt bleiben,
- das Kind durch Maßnahmen zur gerichtlichen Vernehmung geschützt wird, um die Belastung für das Kind zu minimieren,
- Eltern und Kind umfassend über ihre Rechte und die weiteren Schritte informiert sind.
Außerdem kann der Anwalt dafür sorgen, dass das Kind als Nebenkläger auftritt. Dies ermöglicht eine aktive Mitgestaltung des Verfahrens und bietet zusätzlichen rechtlichen Schutz.
5. Emotionale und psychologische Unterstützung für das Kind und die Eltern
Nach der Anzeigeerstattung beginnt oft ein langer Prozess, der für das Kind belastend sein kann. Eine frühzeitige psychologische Betreuung ist daher essenziell. Fachleute können dem Kind helfen, das Erlebte zu verarbeiten und es gleichzeitig auf mögliche Befragungen vorbereiten.
Wichtig für das Strafverfahren ist, dass über die Vorwürfe mit den Betreuungspersonen nicht gesprochen wird, um eine Fremdbeeinflussung später ausschließen zu können. Daher ist eine frühzeitige Traumatherapie aus anwaltlicher Sicht nicht zu empfehlen - Stabilisierungstherapie ist jedoch durchaus wichtig und richtig.
Auch Eltern sollten nicht zögern, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Belastung kann enorm sein, und nur mit der eigenen Stabilität können sie ihrem Kind die notwendige Unterstützung bieten. Auch das Besprechen mit einer Opferschutzorganisation kann hier schon helfen.
6. Was tun, wenn es Unsicherheiten gibt?
Eltern, die sich unsicher sind, ob sie eine Strafanzeige erstatten sollen oder wie sie vorgehen können, sollten auf keinen Fall zögern, sich beraten zu lassen. Beratungsstellen und Anwälte sind darauf spezialisiert, Eltern in diesen Situationen zur Seite zu stehen und die richtigen Schritte einzuleiten.
Fazit
Opfer sexualisierter Gewalt geworden zu sein, erfordert Energie und Selbstwirksamkeit. Eine Strafanzeige wird wohl überlegt sein und kann ganz schön überfordern. Auch die Entdeckung eines Missbrauchs ist für Eltern und das betroffene Kind ein Albtraum. Doch mit der richtigen Unterstützung, einem klaren Handlungsplan und dem Fokus auf den Schutz des Kindes können Betroffene die ersten Schritte in Richtung Gerechtigkeit gehen. Als Anwältin für Opferrechte appelliere ich an Eltern: Lassen Sie sich von Fachleuten begleiten, stehen Sie Ihrem Kind mit Liebe und Geduld zur Seite und kämpfen Sie für die Rechte Ihres Kindes. Jede Anzeige ist ein Schritt, um nicht nur Ihr Kind, sondern auch andere Kinder vor weiteren Übergriffen zu schützen.
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Rechtsanwältin Hannah Funke - Anwalt für Sexualdelikte
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