Die Bedeutung von Kleidung von Missbrauchsopfern in Strafverfahren

Die Bedeutung von Kleidung von Missbrauchsopfern wird durch mediale Berichterstattung nicht selten pervertiert, um eine Täter-Opfer-Umkehr zu bedienen. Ein kurzer Rock war eine Einladung? Etwas mehr Ausschnitt war konkludenter Konsens? 

Dass diese Argumentationslinie veraltet ist, dürfte gesellschaftlich in weiten Teilen bereits angekommen sein. 

Dennoch hat auf rechtswissenschaftlicher Ebene die Kleidung von Tatopfern bestimmte Ebenen, die unabhängig einer Täter-Opfer-Umkehr erhebliche Bedeutung für das Strafverfahren haben kann.

In einem Strafverfahren zu Sexualdelikten kann die Kleidung des Opfers eine entscheidende Rolle spielen, ohne dass dem Opfer eine Mitschuld zugeschrieben wird. 
Die Untersuchung und Analyse der Kleidung kann dazu beitragen, die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage zu überprüfen und eine zweifelsfreie Verurteilung zu ermöglichen oder die Aussage die widerlegen. Es ist wichtig, die Aussagen und die physischen Beweise miteinander in Einklang zu bringen und hierzu ist es auch entscheidend, Objekte wie die Kleidung in die Bewertung der subjektiven Aussage miteinzubinden. 


Anhaltspunkte für die Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage und die darin beschriebenen Tatabläufe


Aussagekonstanz
Wenn das Opfer unmittelbar nach der Tat und auch noch in der Gerichtsverhandlung, eventuell nach einem Jahr, die gleiche Kleidung beschreibt, wird die Aussage als konsistent und glaubwürdig wahrgenommen.


Plausibilität
Angaben zur Kleidung müssen zur Jahreszeit und den Umständen passen, die zuvor in ihren Aussagen beschrieben wurden. Beispielsweise wäre es unglaubwürdig, wenn das Opfer behauptet, im Winter Sommerkleidung getragen zu haben. Die Kleidung kann dazu verwendet werden, die geschilderten Abläufe der Tat zu überprüfen. Wenn das Opfer angibt, dass die Kleidung "schnell zur Seite geschoben wurde", aber die Kleidung kompliziert zu entfernen ist, könnte dies Zweifel an der Schilderung wecken. Wenn das Opfer angibt, auf dem Weg zu einer Party gewesen zu sein, und die Kleidung dem entspricht, was man zu einer solchen Veranstaltung trägt, kann dies die Glaubhaftigkeit der Aussage stärken.  

Die Kleidung kann aufzeigen, ob die beschriebenen sexuellen Handlungen tatsächlich so durchgeführt werden konnten. Wenn beispielsweise behauptet wird, dass die Handlung sehr schnell vonstatten ging, obwohl die Kleidung kompliziert zu entfernen war, könnte dies Zweifel aufwerfen. Beschädigungen oder fehlende Beschädigungen der Kleidung können hierbei wichtige Hinweise liefern. 



Erinnerungsfähigkeit
Die Fähigkeit des Opfers, sich genau an die getragene Kleidung zu erinnern, kann auf die allgemeine Zuverlässigkeit der Erinnerungen hinweisen. Wenn das Opfer große Erinnerungslücken aufweist, könnte dies die Tragfähigkeit der Zeugenaussage in Frage stellen.  Wurden Lichtbilder des Opfers nach der Tat gefertigt, die in der Akte liegen und hiervon abweichende Kleidungsstücke beschrieben werden, können Zweifel an der Erinnerungsgabe aufkommen. 



Spurenanalyse

Zudem können DNA-Spuren des Täters an den erwarteten Stellen (wie an den Verschlüssen oder den betroffenen Stellen der Kleidung) überprüft werden. Ebenso können Risse oder Beschädigungen in der Kleidung oder Spuren von Körperflüssigkeiten die Aussage unterstützen. 


Hinweise auf Willensunfähigkeit oder entgegenstehenden Willen

  • Willensunfähigkeit: Kleidungsstücke, die Erbrochenes oder andere Anzeichen dafür enthalten, dass das Opfer nicht in der Lage war, sich zu wehren, können auf eine Willensunfähigkeit hinweisen. Wenn die Kleidung systematisch aufgerissen wurde, weil das Opfer sich nicht selbst entkleiden konnte, stützt dies die Schilderungen der Willensunfähigkeit. Hinweise auf eine Willensunfähigkeit sind für die Verurteilung im juristischen Sinne besonders relevant.
  • Entgegenstehender Wille oder sogar sexuelle Nötigung: Liegen vielfache Anzeichen für Abwehrhandlungen vor, wie Beschädigungen oder Blutspuren, sind dies Anzeichen für Abwehrhandlungen oder sogar Gewalthandlungen. Auch Hinweise auf einen geäußerten entgegenstehenden Willen oder Gewalt sind absolut entscheidend für die juristische Einordnung von sexuellen Handlungen



Anzeichen für innere Tatsachen, also beispielsweise die Stimmung und Bereitschaft des Opfers:

Welche Gedanken das Opfer vor der Tat hatte, kann nur erahnt werden, maximal anhand der persönlichen Schilderungen ermittelt werden. Auch bestimmte Kleidung kann diese Angaben belegen oder widerlegen.
Wenn die Kleidung des Opfers Hinweise auf einen ausgelassenen Partyabend gibt, kann dies Hinweise auf die Stimmung des Opfers vor Ort geben. Dennoch darf daraus keinesfalls gefolgert werden, dass das Opfer zu sexuellen Handlungen bereit war oder dass dies die Tat rechtfertigt. Es kann jedoch als Anzeichen für Ausgelassenheit, vielleicht sogar Dating-Ziele oder eine allgemeine sexuelle Stimmungen sein. Dass aus dieser Vorstimmung heraus ein allgemeiner Konsens abgeleitet werden soll, ist natürlich nicht der Fall. Aber es kann helfen, Situationen und Motivationen einzuordnen.
Gerade bei der Frage, ob man sich zu einer sexuellen Handlung hat überreden lassen, ist die Stimmung der Person absolut bedeutsam.



Anzeichen für persönliche Beziehung

Die Kleidung kann auch Rückschlüsse auf die Art der Beziehung zwischen Opfer und Täter geben. Kleidung, die für ein Date oder einen Partyabend typisch ist, könnte auf die Motive und die Dynamik zwischen den Personen hinweisen. Diese Informationen können helfen, die Interaktionen vor und während der Tat zu verstehen, ohne die Zustimmung zu unterstellen. 



Allgemeines Sexualleben und Widersprüche zu Zeugenaussagen

Die Kleidung kann auch Hinweise auf das allgemeine Sexualleben des Opfers geben. Wenn die Kleidung in einem Widerspruch zu den Angaben des Opfers steht, könnten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen entstehen. Es könnte beispielsweise auffällig wirken, wenn das Opfer erklärt, es führe ein prüdes Leben ohne sexuelle Aktivität, wurde jedoch in kinky Lack und Leder aufgefunden. Allerdings muss auch hierbei vorsichtig vorgegangen werden, um keine Vorurteile oder falsche Schlussfolgerungen zu ziehen.

 

Schlussfolgerung

Die Kleidung des Opfers spielt in Strafverfahren zu Sexualdelikten eine wichtige Rolle, ohne dass dies dem Opfer eine Mitschuld zuschreibt. Die Analyse der Kleidung kann die Glaubhaftigkeit der Aussagen unterstützen oder widerlegen und ist ein wesentliches Element, um die Wahrheit zu ermitteln. Es ist entscheidend, die Kleidung im Kontext aller Beweise und Aussagen zu betrachten, um eine gerechte und fundierte Entscheidung im Strafverfahren zu ermöglichen. Die korrekte Handhabung dieser Beweismittel trägt dazu bei, dass sowohl die Rechte des Opfers als auch des Beschuldigten gewahrt werden.



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