Verfahrenseinstellung bei Jugendstrafverfahren

Das Jugendstrafverfahren in Deutschland bietet spezifische Möglichkeiten für die Einstellung des Verfahrens, die im Jugendgerichtsgesetz (JGG) und in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt sind. Diese Vorschriften reflektieren den erzieherischen Ansatz des Jugendstrafrechts, indem sie Alternativen zur formellen Verurteilung und zum üblichen Gerichtsverfahren bieten. Die Regelungen zielen darauf ab, das Strafverfahren flexibler zu gestalten und die besonderen Umstände junger Menschen zu berücksichtigen.

 

Finden Sie hier mehr Informationen zur allgemeinen Verfahrenseinstellung und hier Verfahrenseinstellungen bei Sexualdelikten und bei Körperverletzungsdelikten.



WICHTIG!

  1. Sie wissen erst, dass das Verfahren eingestellt wurde, wenn Sie einen entsprechenden Brief von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht erhalten haben. Das Verfahren löst sich nicht einfach in Rauch auf ohne dass Sie hiervon Kenntnis erhalten. Kontrollieren also regelmäßig Ihre Post. 
  2. Auf eine Verfahrenseinstellung sollte tatkräftig hingearbeitet werden. Dies erkennen Sie auch an den komplizierten Einstellungsvoraussetzungen, die wir unten für Sie aufführen. Hierzu empfehlen wir dringend anwaltliche Hilfe, damit dieser helfen kann, die Einstellungsgrundlage zu legen, die Einstellungsvariante zu wählen, die Einstellung zu beantragen bzw. anzuregen und juristisch fachmännisch zu begründen. Erfahrungsgemäß steigert eine vernünftig aufgearbeitete Einstellungsverteidigung die Einstellungswahrscheinlichkeit erheblich, da andernfalls nicht jede entscheidende Information im richtigen Rahmen zur Justiz gelangt. 



Verfahrenseinstellung mangels hinreichendem Tatverdachts, § 170 StPO  

Nach § 170 Abs. 2 StPO kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen, wenn kein hinreichender Tatverdacht besteht. Dies bedeutet, dass nach Abschluss der Ermittlungen nicht genügend Beweise vorliegen, um eine Anklage zu erheben oder die Rechtslage unzureichend ist. Diese Form der Einstellung ist nicht spezifisch für das Jugendstrafrecht, gilt aber auch hier als wichtige Regelung, um Jugendliche nicht unnötig mit einem Strafverfahren zu belasten, wenn die Beweis- oder Rechtslage unzureichend ist.


Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit nach § 45 Abs.1 JGG iVm § 153 StPO

Ein Jugendstrafverfahren kann nach § 45 Abs. 1 JGG in Verbindung mit § 153 Abs. 1 StPO eingestellt werden, wenn es sich um eine geringfügige Angelegenheit handelt. Diese Regelung findet bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten Anwendung. Unter diesen Umständen darf der Staatsanwalt eigenständig entscheiden, ohne die Notwendigkeit einer richterlichen Zustimmung, sofern die Schuld des Beschuldigten als gering erachtet wird und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.

Hintergrund der Verfahrenseinstellung ist also, dass die Schuld nur geringfügig ist.

Diese Einstellungsmöglichkeit besteht nur bei Vergehen.

Die Verfahrenseinstellung hat keine Rechtskraft - das Verfahren kann also ohne Auftreten neuer Kenntnisse wieder aufgenommen werden.

Zustimmung des Gerichts bei Anklageerhebung

Sollte jedoch bereits eine Anklage erhoben worden sein, ist gemäß § 153 Abs. 2 StPO die Zustimmung des Gerichts erforderlich, um das Verfahren unter den gleichen Bedingungen einzustellen.

Voraussetzungen für diese Einstellungsart 

  • Für eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO muss die Tat als Vergehen klassifiziert sein, was beispielsweise Sachbeschädigung, Diebstahl oder Hausfriedensbruch umfassen kann. 
  • Die Schuld des Täters muss gering sein, was bedeutet, dass die erwartete Strafe am unteren Ende des möglichen Strafrahmens liegen würde. Ein Beispiel hierfür ist der Diebstahl einer Tafel Schokolade. 
  • Zudem darf kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung bestehen, was etwa dann der Fall ist, wenn keine schwerwiegenden Konsequenzen aus der Tat resultieren oder der Täter nicht wiederholt straffällig geworden ist. 



Verfahrenseinstellung bei erzieherischen Maßnahmen gem. § 45 Abs.2 JGG

Gemäß § 45 Abs. 2 JGG hat die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit im Ermittlungsverfahren, von der weiteren Verfolgung eines Jugendlichen abzusehen (= das Verfahren einzustellen), falls bereits erzieherische Maßnahmen ergriffen oder eingeleitet wurden oder wenn der Jugendliche aktiv einen Ausgleich mit dem Geschädigten, bekannt als Täter-Opfer-Ausgleich, sucht. In solchen Fällen wird die Staatsanwaltschaft bestenfalls eine Beteiligung des Gerichts für nicht erforderlich erachten. 

Hintergrund der Verfahrenseinstellung ist also, dass bereits erzieherisch auf den Beschuldigten eingewirkt wurde, indem die jeweilige Maßnahme schon durchgeführt oder begonnen hatte. Hierdurch benötigt man dann quasi keine weitere Einwirkung durch Gericht oder Staatsanwaltschaft - man hat die Verhängung der Rechtsfolge so gesehen schon selbst übernommen.

Diese Einstellungsmöglichkeit besteht bei Vergehen und Verbrechen.

Die Verfahrenseinstellung hat keine Rechtskraft - das Verfahren kann also ohne Auftreten neuer Kenntnisse wieder aufgenommen werden.



Rolle des Täter-Opfer-Ausgleichs im Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Im Rahmen des JGG wird der Täter-Opfer-Ausgleich auch als Teil der Weisungen betrachtet. Nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 JGG kann der Richter dem Jugendlichen die Weisung erteilen, sich um einen Ausgleich mit dem Geschädigten zu bemühen. Diese Maßnahme fördert die Wiedergutmachung und trägt zur erzieherischen Einwirkung auf den Jugendlichen bei. 


 

Verfahrenseinstellung bei Geständnis gegen erzieherische Maßnahmen gem. § 45 Abs.3 JGG 

Gemäß § 45 Abs. 3 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) besteht die Möglichkeit im Ermittlungsverfahren, eine Anklage zu umgehen ( = das Verfahren einzustellen), wenn der Täter ein Geständnis ablegt und der Staatsanwalt es für angebracht hält, eine Ermahnung, Weisung oder Auflage zu erteilen, statt eine Anklage zu erheben. Er übernimmt in diesem Sinne also als Gegenzug für ein Geständnis die Verhängung einer entsprechend zulässigen Rechtsfolge ohne dass dann das Verfahren vor Gericht verhandelt werden muss. Das Verfahren wird dann ohne Urteil eingestellt. In dieser Situation zieht der Staatsanwalt oft den Jugendrichter hinzu, um die Ausgabe einer spezifischen Maßnahme zu empfehlen. 
Mögliche Rechtsfolgen sind beispielsweise die Anordnung eines Täter-Opfer-Ausgleichs oder die Teilnahme an erzieherischen Kursen.

Hintergrund der Verfahrenseinstellung ist also, dass der Jugendliche ein Geständnis ablegt und damit die Rechtsfolge auch durch die Staatsanwaltschaft auferlegt werden kann, statt umständlich durch das Gerichtsverfahren.
 

Diese Einstellungsmöglichkeit besteht bei Vergehen und Verbrechen.
 

Das Verfahren gilt als tatsächlich eingestellt, wenn die erzieherische Maßnahme auch tatsächlich umgesetzt wurde.

Die Verfahrenseinstellung hat beschränkte Rechtskraft - das Verfahren kann also gem. § 45 Abs.3  S.4 iVm § 47 Abs.3 JGG nur wieder aufgenommen werden, wenn sich neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben. Anders als in der StPO ist dies bei Verbrechen und Vergehen möglich. In der StPO ginge dies nur bei Verbrechen, was für den Beschuldigten also günstiger wäre. 

 

Verfahrenseinstellung im Gerichtsverfahren, § 47 JGG 

Diese Einstellungsmöglichkeit besteht, sobald das Verfahren bei Gericht liegt, also Anklage erhoben wurde.

Das Jugendgericht hat nach § 47 JGG die Möglichkeit, das Verfahren zu jedem Zeitpunkt einzustellen, wenn eine weitere Verfolgung nicht geboten erscheint. Dies kann geschehen, wenn sich während des Verfahrens herausstellt, dass andere Maßnahmen (wie die Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII) ausreichend sind oder wenn der Jugendliche sich in der Zwischenzeit positiv entwickelt hat. Diese Regelung ermöglicht eine flexible Handhabung des Verfahrens, die den individuellen Umständen und der Entwicklung des Jugendlichen Rechnung trägt.

Im Prinzip kann das Gericht im Gerichtsverfahren unter denselben Voraussetzungen einstellen wie die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren. Das Gesetz sagt hier in § 47 Abs.1 JGG:
 

Ist die Anklage eingereicht, so kann der Richter das Verfahren einstellen, wenn


  1. die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen,
  2. eine erzieherische Maßnahme im Sinne des § 45 Abs. 2, die eine Entscheidung durch Urteil entbehrlich macht, bereits durchgeführt oder eingeleitet ist,
  3. der Richter eine Entscheidung durch Urteil für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in § 45 Abs. 3 Satz 1 bezeichnete Maßnahme anordnet oder
  4. der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist. 

 
 

Die Einstellung ergeht durch gerichtlichen Beschluss. Dieser ist nicht anfechtbar.


Für die Einstellungsmöglichkeit benötigt das Gericht die Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Die entsprechende erzieherische Maßnahme soll sodann innerhalb von sechs Monaten umgesetzt werden - erst dann ist das Verfahren tatsächlich eingestellt.

Die Verfahrenseinstellung per Gerichtsbeschluss hat jedoch beschränkte Rechtskraft - das Verfahren kann also gem. § 47 Abs.3 JGG nur wieder aufgenommen werden, wenn sich neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben. Anders als in der StPO ist dies bei Verbrechen und Vergehen möglich. In der StPO ginge dies nur bei Verbrechen, was für den Beschuldigten also günstiger wäre. 



Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit nach den allgemeinen Regeln, § 153 ff. StPO 

Die §§ 153, 153a StPO ermöglichen auch im Jugendstrafverfahren eine Einstellung bei geringfügigen Delikten oder wenn der Täter nach der Tat positive Entwicklungen gezeigt hat. Der § 153 StPO erlaubt eine Einstellung, wenn die Schuld des Täters gering ist und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Der § 153a StPO geht weiter und ermöglicht eine Einstellung gegen Auflagen und Weisungen, jedoch mit der Möglichkeit, auch schwerere Delikte unter bestimmten Voraussetzungen einzustellen.


Doch wird das Verfahren jetzt über die Regelungen des JGG oder die allgemeinen Regeln der StPO eingestellt?

Das ist tatsächlich unter Juristen umstritten.

Machen Gerichte und Staatsanwaltschaften stellen bei Jugendstrafverfahren ausschließlich nach dem JGG ein, da dies das speziellere Recht ist.

Andere Gerichte und Staatsanwaltschaften differenzieren und sagen: 
Wenn das Verfahrensergebnis dadurch für den Jugendlichen günstiger ist, wird im Regelfall die Einstellungsmöglichkeit des JGG vorgezogen. Nur ausnahmsweise sollen bei negativerem Ergebnis die Verfahrenseinstellungen nach der StPO genutzt werden. Bei der Einstellung wegen Geringfügigkeit würde beispielsweise die Einstellung gem. § 45 Abs.1 JGG in den Erziehungsregister eingetragen werden, eine Einstellung gem. § 153 StPO würde nicht eingetragen werden (§ 60 Abs. 1 Nr. 7 BZRG).

Hier kommt es also auf die Praxis der hiesigen Justiz an.

 

Anwaltskosten

Wird das Verfahren im Ermittlungsverfahren eingestellt, ist dies für den Beschuldigten die beste und diskreteste Lösung, das Verfahren zu beenden und Stigmatisierung zu verhindern. In diesem Fall übernimmt der Staat jedoch im Regelfall nicht die Anwaltskosten, obgleich eine Verteidigung im Ermittlungsverfahren erheblichen Einfluss auf eine mögliche Verfahrenseinstellung haben kann. Es gibt immerhin keinen Freispruch im Ermittlungsverfahren, sondern die Verfahrenseinstellung ist hier die einzige Möglichkeit, das Verfahren zugunsten des Beschuldigten zu beenden. Frustrierend aber Realität. 

Wird das Verfahren im Gerichtsverfahren eingestellt, entscheidet das Gericht über die Kostenübernahme im Einzelfall. Bei einem Freispruch im Gerichtsverfahren trägt das Gericht in jedem Fall die Anwaltskosten (jedoch nur maximal in Höhe der gesetzlichen Gebühren).
 
Da eine Verfahrenseinstellung dazu führt, dass man nicht als vorbestraft gilt, einen entsprechenderweise auch regelmäßig keine anderen Nachteile einer Verurteilung mehr treffen (zum Beispiel asylrechtliche, beamtenrechtliche oder arbeitsrechtliche) und allen Voran die Verhängung der Strafe umgangen wird, sollte man überlegen, wo die eigenen Prioritäten liegen. Nicht selten ist aus diesen Gründen der Kampf um eine Verfahrenseinstellung trotz Kostentragungspflicht der Anwaltskosten günstiger als ohne Kampf in die Verurteilung zu schlittern. 


Fazit

Die Verfahrenseinstellungsmöglichkeiten im deutschen Jugendstrafrecht bieten umfassende und flexible Wege, um auf die spezifischen Bedürfnisse und Umstände jugendlicher Straftäter zu reagieren. Sie reflektieren den vorrangigen Erziehungsgedanken und die Intention, Jugendliche möglichst ohne strafrechtliche Sanktionen zu resozialisieren und zu erziehen. Diese Regelungen fördern die Einbindung erzieherischer Maßnahmen und die Berücksichtigung der individuellen Entwicklung der betroffenen Jugendlichen. Welche Einstellungsmöglichkeit am sinnvollsten ist und ob die Voraussetzungen überhaupt erfüllt werden können, hängt vom Einzelfall ab. Wichtig ist hierbei die Art des Vorwurfs, die Tatumstände, die Entwicklung des Beschuldigten und vieles mehr. Entscheidend ist auch, welche Art der Rechtskraft sinnvoll erscheint und ob die Möglichkeit der Registereintragung umgangen werden kann.

Da die Einstellungsmöglichkeiten für Laien oftmals identisch klingen und von Nuancen abhängen, sollte man die Beantragung bzw. Anregung einem Anwalt überlassen. Dieser erkennt Argumentationsmöglichkeiten für die Einstellung und weiß diese umzusetzen.

Beauftragen Sie hierzu Jugendstrafverteidigerin Hannah Funke.