Unterschied zwischen Jugendstrafverfahren und normalen Strafverfahren für Erwachsene
Vorteile von Jugendstrafverfahren
Das deutsche Strafrechtssystem unterscheidet zwischen Jugendstrafverfahren und Erwachsenenstrafverfahren, wobei die jeweiligen Verfahren spezifisch auf die Bedürfnisse und den Entwicklungsstand der Beschuldigten ausgerichtet sind. Hier wird ein detaillierter Überblick über die Kernunterschiede gegeben:
Zweck des Verfahrens
Jugendstrafverfahren: Der Fokus liegt auf dem Erziehungsgedanken, d.h., das Verfahren zielt darauf ab, den Jugendlichen oder Heranwachsenden zu bessern und zu erziehen, anstatt sie nur zu bestrafen. Dieser Ansatz soll verhindern, dass junge Menschen erneut straffällig werden.
- Erzieherischer Ansatz: Im Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke an erster Stelle. Das Hauptziel ist es, den Jugendlichen oder Heranwachsenden durch das Verfahren und die verhängten Maßnahmen zu erziehen und zu einer positiven Weiterentwicklung zu motivieren.
- Präventionsansatz: Im Erwachsenenstrafrecht steht neben der Bestrafung auch die Prävention weiterer Straftaten im Fokus, vorrangig durch abschreckende Wirkung der Strafen.
Erwachsenenstrafverfahren: Hier steht der Gedanke der Bestrafung und der Sühne im Vordergrund. Das Ziel ist es, die Rechtsordnung durch angemessene Sanktionen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig eine generalpräventive Wirkung zu erzielen.
Besonderheiten des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) und Unterschiede: Jugendstrafverfahren vs. normale Strafverfahren
Strafarten und Sanktionen
- Erwachsenenstrafrecht: Beschränkt sich überwiegend auf Freiheitsstrafen und Geldstrafen.
- Jugendstrafrecht: Bietet eine Vielzahl von Sanktionen, darunter Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe. Diese sind flexibler und auf die individuelle Situation des Jugendlichen zugeschnitten. Das Spektrum der Strafen reicht von Erziehungsmaßregeln wie Weisungen und Hilfe zur Erziehung über Zuchtmittel wie Verwarnungen, Auflagen oder Jugendarrest bis hin zu Jugendstrafe (Jugendgefängnis), die bei schwereren Delikten verhängt wird.
- Erziehungsmaßregeln: Dazu gehören Weisungen, wie regelmäßiger Schulbesuch, Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder die Anordnung, sich bei dem Geschädigten zu entschuldigen. Diese Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, Verhalten positiv zu beeinflussen.
- Zuchtmittel: Beispielsweise kann Jugendarrest verhängt werden, der kurzfristig ist (von einem Tag bis zu vier Wochen) und als „Denkzettel“ dient. Im Erwachsenenstrafrecht gibt es keine vergleichbare Maßnahme.
- Jugendstrafe: Eine Jugendstrafe wird nur bei schwereren Delikten oder bei wiederholter Straffälligkeit verhängt und kann von sechs Monaten bis zu zehn Jahren reichen. Bei Erwachsenen sind die Freiheitsstrafen flexibler und können auch lebenslang sein.
Verfahrenseinstellungen
- Jugendstrafrecht: Kennt zahlreiche Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung, die nicht nur bei geringfügigen Taten angewendet werden, sondern auch erzieherisch motiviert sind (§§ 45, 47 JGG).
- Erwachsenenstrafrecht: Verfahrenseinstellungen sind ebenfalls möglich, folgen aber stärker prozessökonomischen und pragmatischen Überlegungen (§§ 153ff. StPO).
- In beiden Verfahren gibt es die Möglichkeit, dass das Verfahren gem. § 170 Abs.2 StPO im Ermittlungsverfahren eingestellt wird, wenn die Beweislage oder Rechtslage für eine Anklageerhebung nicht ausreicht.
Rechtsmittel
- Jugendstrafrecht: Beschränkter Umfang bei den Rechtsmitteln, insbesondere keine Rechtsmittel gegen Entscheidungen zu Art, Umfang und Auswahl der Sanktionen, wenn diese unterhalb der Jugendstrafe liegen (§ 55 JGG). Man kann sich zudem nur für Berufung oder Revision entscheiden.
- Erwachsenenstrafrecht: Volle Palette der Rechtsmittel (Berufung, Revision) verfügbar, um gegen Urteile vorzugehen.
Registereinträge
- Jugendstrafrecht: Eintragungen von beendenden Verfahrensentscheidungen wie Verurteilungen und bestimmten Verfahrenseinstellungen erfolgen in das Erziehungsregister, das speziell für Jugendliche und Heranwachsende geführt wird und dessen Eintragungen mit Vollendung des 24. Lebensjahres gelöscht werden.
- Erwachsenenstrafrecht: Eintragungen erfolgen in das allgemeine Bundeszentralregister, mit unterschiedlichen Fristen für die Löschung, abhängig von der Schwere des Delikts. Verfahrenseinstellungen werden hier nicht aufgeführt. In das Führungszeugnis werden hierbei nicht alle Eintragungen übertragen (zum Beispiel im Regelfall nur die Vorstrafen ab 91 Tagessätzen).
Öffentlichkeit des Verfahrens
- Jugendstrafrecht: Verhandlungen sind grundsätzlich nicht öffentlich, um den Jugendlichen vor negativen Auswirkungen der öffentlichen Wahrnehmung zu schützen (§ 48 JGG). Sobald auch nur ein Heranwachsender mitangeklagt ist, wird das Verfahren öffentlich.
- Erwachsenenstrafrecht: Grundsätzlich öffentliche Verhandlungen, es sei denn, es wird aus spezifischen Gründen anders entschieden.
Rolle der Jugendgerichtshilfe
- Jugendstrafrecht: Die Jugendgerichtshilfe spielt eine aktive Rolle im gesamten Verfahren, unterstützt bei der Sammlung von Informationen über den Beschuldigten und dessen Umfeld, und hilft bei der Ausarbeitung und Umsetzung erzieherischer Maßnahmen (§§ 38, 50 JGG).
- Erwachsenenstrafrecht: Keine vergleichbare Institution, obwohl Sozialdienste der Justiz oder Bewährungshelfer ähnliche Unterstützung leisten können.
Erzieherische Ausrichtung
- Jugendstrafrecht: Der gesamte Prozess ist am Erziehungsgedanken ausgerichtet, mit dem Ziel, den Jugendlichen oder Heranwachsenden von weiteren Straftaten abzuhalten und sie in die Gesellschaft zu reintegrieren.
- Erwachsenenstrafrecht: Fokussiert auf Schuldausgleich, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht, sowie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch Abschreckung.
Zuständigkeiten
- Jugendstrafverfahren: Zuständig sind spezialisierte Jugendgerichte, bestehend aus Jugendrichtern und Jugendschöffen, die in der Beurteilung jugendlicher Straftäter geschult sind.
- Erwachsenenstrafverfahren: Die Zuständigkeit liegt bei den allgemeinen Strafgerichten (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht).
Weiteres
- Verfahrensgestaltung: Jugendstrafverfahren sind oft schneller und flexibler gestaltet, um den Bedürfnissen junger Menschen gerecht zu werden und negative Auswirkungen eines langwierigen Prozesses zu vermeiden. Im Fokus steht auch der Beschuldigte, seine Persönlichkeit, sein Potential und Entwicklung. Im Jugendstrafverfahren wird besonderes Augenmerk auf die Persönlichkeit, die Lebensumstände und die Entwicklung des Beschuldigten gelegt. Dies hilft dabei, eine maßgeschneiderte Reaktion auf die Straftat zu formulieren, die erzieherische Aspekte berücksichtigt. Entsprechenderweise wirken sich Umstände wie Geständnisse, Unrechtsbewusstsein und Verantwortungsübernahme noch einmal intensiver zugunsten des Beschuldigten aus.
- Erschwerte Möglichkeit der Nebenklage (§ 80 JGG): Im Jugendstrafrecht ist die Nebenklage nur in eingeschränktem Maße zulässig. Dies bedeutet, dass Opfer von Straftaten nur unter bestimmten Umständen und bei schwerwiegenderen Delikten als Nebenkläger auftreten dürfen.
Die Aufzählungen der Unterschiede sind nicht abschließend.
Rolle der Jugendgerichtshilfe
Die Jugendgerichtshilfe spielt eine zentrale Rolle im Jugendstrafverfahren. Sie ist Teil des Jugendamtes und unterstützt das Gericht durch:
- Bereitstellung von Informationen zur Lebenssituation des Jugendlichen.
- Hilfe bei der Einschätzung der Persönlichkeit und Entwicklung des Beschuldigten.
- Unterstützung des Jugendlichen während des gesamten Verfahrens.
- Mitwirkung bei der Ausarbeitung eines erzieherisch sinnvollen Maßnahmenplans.
Beispielhafte Unterschiede in der Anwendung
Ein 16-jähriger Jugendlicher, der wegen Diebstahls verurteilt wird, könnte im Jugendstrafverfahren eine Weisung erhalten, an einem Diebstahlspräventionskurs teilzunehmen und gemeinnützige Arbeit zu leisten. Ein erwachsener Täter könnte für denselben Diebstahl mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bestraft werden, ohne dass erzieherische Maßnahmen in Betracht gezogen werden.
Diese Unterschiede zeigen, wie das Jugendstrafrecht darauf ausgerichtet ist, junge Menschen zu unterstützen und zu erziehen, anstatt sie lediglich für ihr Fehlverhalten zu bestrafen. Es reflektiert die Anerkennung, dass Jugendliche und Heranwachsende sich in einer entscheidenden Entwicklungsphase befinden und besondere Betreuung und Unterstützung benötigen, um ihre Fehler zu korrigieren und sich positiv zu entwickeln.
Zusammenfassung
Zusammenfassend zielt das Jugendstrafrecht primär auf Erziehung und Resozialisierung der jungen Täter ab, um deren Rückfallrisiko zu minimieren. Es berücksichtigt dabei stärker die persönliche Entwicklung und die Umstände, die zu kriminellem Verhalten geführt haben. Erwachsenenstrafrecht hingegen fokussiert auf Sanktionierung und Prävention durch Abschreckung. Die jeweiligen Prozessformen sind auf die spezifischen Bedürfnisse und Eigenschaften der jeweiligen Altersgruppe abgestimmt.
Durch diese besondere Ausgestaltung der Jugendstrafverfahren sind sie oftmals individueller und haben entsprechende Möglichkeiten der Verteidigung.
Beauftragen Sie Jugendstrafverteidigerin Hannah Funke und machen Sie sich die Vorteile der Jugendstrafverfahren zu Nutze.