Fragestellungen zu Schüssen mit scharfer Munition

 

In einer beträchtlichen Anzahl von Tötungsdelikten werden Schusswaffen eingesetzt.

Begründung eines Tötungsvorsatzes

Angesichts der hohen Lebensgefahr, die typischerweise mit der Abgabe von Schüssen auf Einzelpersonen oder Personengruppen sowie auf mit Personen besetzte Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr verbunden ist, liegt die Vermutung eines (bedingten) Tötungsvorsatzes nahe.

Beim Einsatz scharfer Munition müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, um festzustellen, ob ein bedingter Tötungsvorsatz vorlag:

  • Die Entfernung, aus der geschossen wurde,
  • Die Schießfähigkeiten des Täters,
  • Die Art der verwendeten Schusswaffe,
  • Die Art der Munition,
  • Der Schießmodus, insbesondere die Richtung der abgegebenen Schüsse,
  • Das Verhalten des Ziels während des Schusswechsels,
  • Vorhandene Deckungsmöglichkeiten für das Ziel,
  • Die Schwere und Aussagekraft der Schussverletzungen hinsichtlich ihrer Lebensgefährlichkeit.


Um zu klären, auf welche Körperregion gezielt wurde, sind detaillierte und widerspruchsfreie Angaben zur Schussentfernung und -richtung erforderlich. Diese sollten unter Berücksichtigung der Körpergröße der Beteiligten und des Schusskanals, gegebenenfalls unterstützt durch eine Tatrekonstruktion, gemacht werden. 



Erhebliche Beweismittel

In Strafverfahren, in denen Schusswaffen verwendet wurden, spielt die Beweisführung eine entscheidende Rolle, um den Hergang der Ereignisse, die Absichten des Täters und die Konsequenzen der Tat aufzuklären. Die Beweismittel in solchen Fällen können vielfältig sein und umfassen sowohl physische Beweise als auch technische Analysen und Zeugenaussagen. Hier sind die wichtigsten Arten von Beweismitteln, die typischerweise in solchen Verfahren verwendet werden:

1. Ballistische Untersuchungen

Ballistische Experten analysieren alles, was mit der Flugbahn, dem Abfeuern, der Herkunft und den Auswirkungen von Projektilen zu tun hat. Dies umfasst die Untersuchung von Geschossen und Patronenhülsen, die am Tatort gefunden wurden, um festzustellen, welche Waffe benutzt wurde und wie viele Schüsse abgegeben wurden. Die Untersuchung kann auch Rückschlüsse darauf zulassen, aus welcher Entfernung und mit welchem Winkel geschossen wurde.

2. Waffentechnische Untersuchungen

Diese Analysen konzentrieren sich auf die in der Tat verwendete Waffe selbst. Experten untersuchen die Waffe auf Funktionsfähigkeit, Abnutzungsspuren und Modifikationen. Zudem kann die Seriennummer der Waffe, sofern vorhanden, genutzt werden, um ihre Herkunft und den legalen Besitzstatus zu ermitteln.

3. Forensische Spurensicherung

Am Tatort gesicherte Spuren wie Fingerabdrücke auf der Waffe oder DNA-Spuren (Blut, Hautzellen) am Abzug oder anderen Teilen der Waffe können wichtige Hinweise darauf geben, wer die Waffe benutzt hat. Die forensische Analyse schließt auch die Untersuchung von Schmauchspuren ein, die darauf hindeuten können, wie nah der Schütze am Ziel war.

4. Medizinische und pathologische Befunde

Die Autopsie des Opfers kann aufschlussreich sein, insbesondere die Analyse der Wunden kann Hinweise auf die Anzahl der Schüsse, die Entfernung und möglicherweise die Art der verwendeten Munition geben. Solche Informationen sind entscheidend, um die Umstände um die Verletzungen herum zu verstehen.

5. Zeugenaussagen

Aussagen von Augenzeugen oder Personen, die mit den Beteiligten in Verbindung stehen, sind oft entscheidend. Zeugen können Informationen über die Ereignisse vor, während und nach der Tat sowie über das Verhalten und mögliche Aussagen des Täters liefern.

6. Elektronische Beweismittel

Überwachungsvideos von Sicherheitskameras am Tatort oder in der Umgebung können aufzeichnen, was passiert ist und sind oft entscheidend für die Rekonstruktion der Ereignisse. Auch Daten von Mobiltelefonen, wie Standortdaten oder Kommunikationsverläufe, können wichtige Kontextinformationen liefern.

7. Psychologische und psychiatrische Gutachten

In einigen Fällen können psychologische oder psychiatrische Gutachten angefordert werden, um den Geisteszustand des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat zu bewerten, was für das Verständnis seiner Absichten und Motive entscheidend sein kann.

Diese Beweismittel zusammen ermöglichen es der Strafjustiz, ein umfassendes Bild des Tatgeschehens zu rekonstruieren und zu einer fundierten Urteilsfindung zu gelangen. In jedem Fall ist die genaue Analyse und Interpretation dieser Beweise durch erfahrene Fachleute entscheidend, um sicherzustellen, dass Gerechtigkeit in einem fairen und genauen Prozess erreicht wird. 


8. Einlassung des Beschuldigten
Gelegentlich kommt es auch vor, dass der Beschuldigte eigene Angaben zur Tatvorwurf macht. Hierbei könnte es sich beispielsweise um ein Geständnis handeln oder er berichtet, wie der Hergang alternativ vom Vorwurf abgelaufen sei.


Fallanalyse unterschiedlicher Schussarten

Gezielte Schüsse

In einem anderen Fall hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes beanstandet, bei dem mit einer großkalibrigen Waffe aus kurzer Distanz ins Gesäß des Opfers geschossen wurde. Der Schütze hatte beabsichtigt, durch diese Handlung Geld einzutreiben und dem Opfer lediglich eine Lektion zu erteilen, was impliziert, dass er das Überleben des Opfers voraussetzte. Bei einem Schuss in das Gesäß, im Vergleich zu Schüssen auf den Kopf, die Brust oder den Unterleib, ist die Wahrscheinlichkeit, lebenswichtige Organe zu treffen und tödliche Verletzungen zu verursachen, deutlich geringer. Zudem deutet die Tatsache, dass der Angeklagte den Tatort mit der Waffe und 11 Schuss Munition verlassen hat, ohne weitere Schüsse abzugeben, auf das Fehlen eines Tötungsvorsatzes hin.

In einem weiteren Fall gab ein Einbrecher, der auf frischer Tat ertappt wurde, aus einer Entfernung von 8 bis 10 Metern mit einer P 38 Pistole einen Schuss ab, um einer Festnahme und der Aufdeckung seiner Beteiligung zu entkommen. Obwohl der Schuss nur zu einem Trümmerbruch des Oberschenkelknochens führte, nahm der BGH an, dass der Täter einen Mordversuch beendet hatte, von dem er jedoch strafbefreiend zurückgetreten war.

In einem anderen Fall forderte der Täter seine Ex-Freundin unter Vorhalt einer Waffe mit den Worten "Du musst sterben!" auf, aus ihrem Fahrzeug zu steigen. Als sie versuchte, sich auf den Fond zu flüchten, gab er zwei Schüsse ab. Einer verfehlte sie, während der andere ihren linken Fuß traf, als sie noch auf dem Beifahrersitz stand. Der BGH stellte fest, dass die Annahme, jeder gezielte Schuss auf einen Menschen könne tödlich sein, in diesem Kontext nicht haltbar war. Zudem gibt es keinen Erfahrungssatz, der besagt, dass Schmerzensschreie eines durch einen Schuss in den Fuß verletzten Opfers auf möglicherweise tödliche Verletzungen hindeuten würden.

Schließlich hat der BGH kritisiert, dass das Schwurgericht selbst bei einem gezielten Nahschuss in den Oberbauch eines Opfers einen fehlenden Tötungsvorsatz für möglich gehalten hat. Es war „nicht ersichtlich“, auf welcher Grundlage das Landgericht zu dem Schluss kam, der Angeklagte habe sich beim Abgeben des Schusses keine Gedanken über die mögliche Tötung des Opfers gemacht. Der BGH hob die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung auf, da das Schwurgericht die Gesamtwürdigung vernachlässigte, die auch das Wissen um die Gefährlichkeit der Schussabgabe und die schweren Verletzungsfolgen hätte einbeziehen müssen. Der Angeklagte hatte unter Alkoholeinfluss (1,78 ‰) auf seinen Vater geschossen, nachdem dieser ihm ins Gesicht geschlagen hatte. Das Projektil hatte die Leber des Vaters durchschlagen. Das Gericht hatte seine Annahme, der Angeklagte habe nur abwehren wollen, auf Äußerungen des Angeklagten und seine glaubhafte Beteuerung, seinen Vater niemals töten zu wollen, gestützt. 



Unkontrollierte Schüsse

Im Fall eines Raubüberfalls in einem Laden hatte der Angeklagte eine umgebaute Gaspistole verwendet, von der er vermutete, dass sie für gezieltes Schießen kaum geeignet sei, ohne dies jedoch zuvor getestet zu haben. Aus einer Distanz von vier bis sechs Metern zielte er zunächst auf den Rumpf der Nebenklägerin, senkte jedoch im letzten Moment seinen Arm und feuerte, wobei das Opfer am Oberschenkel getroffen wurde. Nachdem die Nebenklägerin schreiend den Laden verlassen hatte, floh der Angeklagte ohne Beute. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes wurde aufgehoben, da der Tötungsvorsatz nicht hinreichend begründet war. Das Schwurgericht stützte sich hauptsächlich auf das Ergebnis eines waffentechnischen Gutachtens, das besagte, dass die Schussabgabe mit der modifizierten Waffe weitgehend zufällig erfolgte. Es berücksichtigte jedoch nicht das Absenken der Waffe, was das Vorhandensein eines Willenselements in Frage stellte.

In einem weiteren Fall feuerte der Angeklagte, beeinträchtigt durch Alkoholkonsum, in der Nacht aus Verärgerung über ein erteiltes Lokalverbot neun Schüsse mit einer Maschinenpistole auf die verschlossene Tür einer Gastwirtschaft ab. Da in dem Lokal noch Licht brannte, war davon auszugehen, dass sich noch Gäste darin befanden. Fünf Projektile durchschlugen die Tür und trafen eine dahinterstehende Sichtschutzwand. Ein Gast wurde durch einen Querschläger oder Holzsplitter am Fuß, ein anderer an der Wange leicht verletzt. Der Angeklagte entfernte sich unerkannt vom Tatort. Das Landgericht hatte zunächst einen Tötungsvorsatz angenommen, da der Angeklagte hätte wissen müssen, dass sich Personen hinter der Tür aufhalten könnten. Der BGH hob jedoch das Urteil wegen Totschlags auf, da die Erwägungen des Tatgerichts eher auf einen Gefährdungsvorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hindeuteten.

In einem dritten Fall hatte der deutlich minderbegabte, aber erfahrene Schütze wegen der Störung seiner Nachtruhe mit einer Blutalkoholkonzentration von maximal 2,18 ‰ aus einer Entfernung von etwa 25 Metern mit einem halbautomatischen Selbstladegewehr auf eine Gruppe von vier Frauen geschossen. Das Landgericht erkannte lediglich einen bedingten Körperverletzungsvorsatz an. Der BGH hob jedoch dieses Urteil auf und verwies die Sache zurück, da das Schwurgericht zu hohe Anforderungen an das Willenselement gestellt hatte. Der Angeklagte habe es dem Zufall überlassen, ob die Situation einen tödlichen Ausgang nehme oder nicht. Jemand, der mit Schusswaffen und deren Wirkungen vertraut ist und weiß, dass die abgefeuerten Projektile die Personen im Einwirkungsbereich der Schüsse treffen können, müsste auch deren mögliche tödliche Wirkung erkennen.



Unbeabsichtigte Schüsse

In der Absicht, an den Film einer Radarfalle zu gelangen, hatte sich der Angeklagte heimlich einem Messwagen genähert. Nachdem er eine Autopanne vorgetäuscht und seine Waffe durchgeladen hatte, schoss er – irritiert durch eine plötzliche Bewegung und einen lauten Ausruf des Messbeamten – aus einer Entfernung von 30 bis 50 cm auf den Beamten. Die Kugel traf den Brustkorb des Beamten, der sofort verstarb. Der Angeklagte behauptete, der Schuss könnte sich versehentlich gelöst haben, als er gestolpert sei, den Halt verloren habe oder sich heftig erschrocken habe. Das Landgericht wies diese Behauptung jedoch als unbegründete Schutzbehauptung zurück. Es berücksichtigte dabei den hohen Abzugswiderstand der Tatwaffe von 2,2 kg und die Tatsache, dass der Angeklagte erfahren im Umgang mit Schusswaffen war.

Ein anderes Urteil erging in einem Fall, in dem ein vielfach vorbestrafter und geübter Schütze aus kurzer Distanz mehrere Schüsse auf einen fahrenden Pkw abfeuerte, wobei er hauptsächlich die Reifen traf. Mit einem Schuss verfehlte er nur knapp die Oberkörper der Fahrzeuginsassen. Das Landgericht Göttingen verneinte einen bedingten Tötungsvorsatz, da es die Darstellung des Angeklagten, das Missgeschick sei auf ein versehentliches Anstoßen gegen eine Hecke beim Mitschwenken mit dem Schießarm zurückzuführen, als nicht widerlegbar ansah. Diese Entscheidung wurde revisionsrechtlich gerade noch akzeptiert. 



Fehlgehende Schüsse

Im Fall eines Luftgewehrschützen hat das Landgericht Gera fälschlicherweise eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags ausgesprochen, nachdem der Angeklagte aus einem offenen Wohnzimmerfenster auf einen Kaugummiautomaten gezielt und dabei fast einen vorbeigehenden Fußgänger getroffen hatte. Der BGH kritisierte die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe „billigend in Kauf genommen“, dass die abgefeuerte Munition das Ziel verfehlen und Unbeteiligte im öffentlichen Raum verletzen könnte. Diese Annahme belege nicht, dass der Täter den Erfolgseintritt wirklich akzeptiert habe. Da das Hauptziel des Angeklagten darin bestand, den Kaugummiautomaten zu treffen, und er begründet darauf vertraut hatte, dass kein weiteres Ereignis eintreten würde, könnte lediglich bewusste Fahrlässigkeit, nicht aber bedingter Tötungsvorsatz angenommen werden. In einem anderen Szenario, in dem der Täter von seinem Fenster auf einen Betonweg schoss und ein Unbeteiligter von Projektilefragmenten oder abgesprengtem Bodenmaterial getroffen wurde, liegt ebenfalls die Annahme eines bedingten Verletzungs- oder Tötungsvorsatzes fern, wenn der Schütze niemanden treffen wollte.


In einem weiteren Fall, dem sogenannten Armbrust-Fall, war die Freundin des Angeklagten gestorben, nachdem er betrunken und trotz Warnungen, um mit seinen Schießkünsten zu prahlen, auf sie gezielt und geschossen hatte. Der BGH stellte richtig, dass die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerechtfertigt sei. Zwar ist der bedingte Tötungsvorsatz bei Schüssen auf Menschen mit einer scharfen Waffe naheliegend, jedoch vertraute der Angeklagte darauf, seine Freundin nicht zu treffen. Dies wurde unter anderem dadurch untermauert, dass der eingetretene Tod für den Angeklagten unerwünscht war und ein Fehlschuss nicht dazu geeignet gewesen wäre, seinen Freunden zu imponieren. Zudem könnte der Angeklagte seine Treffsicherheit aufgrund des Alkoholkonsums überschätzt haben.


Der BGH musste sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wie Schüsse zu bewerten sind, die in Notwehr auf einen Angreifer abgegeben werden, ihr Ziel verfehlen und versehentlich einen Unbeteiligten treffen. Das Landgericht sah das Handeln des Angeklagten als objektiv pflichtwidrig an, da es vorhersehbar war, dass er statt des Angreifers den unbeteiligten Nebenkläger treffen könnte. Der BGH hob jedoch das Urteil auf, da bedingter Tötungs- oder Verletzungsvorsatz offensichtlich nicht zur Debatte stand. Selbst eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung war nicht haltbar, da zur Abwehr des Angreifers möglicherweise nur die schnelle Abgabe zweier unkontrollierter Schüsse Erfolg versprach.



Rechtsanwältin Hannah Funke - Anwalt für Gewaltverbrechen 

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