Fragestellungen: Messerstiche und -schnitte

Man hört es immer wieder: Messerangriff in Dortmund, Messerattacke am Frankfurter Hauptbahnhof, Stichverletzung auf dem Alexanderplatz,... 

Messer und andere Stichgegenstände sind schnell gemacht und im Affekt schneller gezückt, als der Kopf mitläuft. 

Bei der Betrachtung von Stichen und Schnitten kommt es vordergründig auf die Gefährlichkeit und die Folgen der Tathandlung an, sowie der Erkennbarkeit eines Tötungsvorsatzes.

Beweismittel bei Messerangriffen

In Strafprozessen, die Messerangriffe betreffen, ist die Beweisführung entscheidend, um die Umstände der Tat zu klären und die Schuld des Angeklagten zu bestimmen. Diese Fälle erfordern oft detaillierte forensische Analysen und die Bewertung verschiedener Arten von Beweismitteln, um ein umfassendes Bild der Ereignisse zu rekonstruieren. Hier sind die zentralen Beweismittel, die in Prozessen zu Messerangriffen typischerweise herangezogen werden:


1. Das Tatmesser

Das Messer selbst ist eines der wichtigsten physischen Beweismittel. Die Untersuchung des Messers kann Aufschluss darüber geben, ob es die Tatwaffe ist, basierend auf Vergleichen der Klinge mit Wunden des Opfers. Spuren von Blut, Fingerabdrücken und DNA auf dem Messer sind ebenfalls entscheidend, da sie Verbindungen zwischen der Waffe, dem Opfer und dem mutmaßlichen Täter herstellen können.


2. Medizinische und forensische Berichte

Autopsieberichte und medizinische Dokumentation der Verletzungen des Opfers sind entscheidend, um die Natur der Angriffe zu verstehen. Diese Berichte geben detaillierte Informationen über die Art, Tiefe und Anzahl der Stichwunden, was helfen kann, die Schwere der Angriffe und die verwendete Waffe zu bestimmen.


3. Zeugenaussagen

Aussagen von Augenzeugen können entscheidend sein, um den Hergang der Tat zu rekonstruieren. Zeugen können Informationen über das Verhalten und die Interaktionen zwischen Täter und Opfer vor, während und nach dem Angriff liefern. Auch die Aussagen des Opfers, sofern verfügbar, sind von hoher Bedeutung, um die Perspektive des Opfers und mögliche Motive des Angreifers zu beleuchten.


4. Kriminaltechnische Untersuchungen

Kriminaltechnische Analysen einschließlich der Untersuchung von Blutspritzern und anderen Spuren am Tatort können helfen, die Position und Bewegungen von Täter und Opfer während des Angriffs zu klären. Diese Informationen sind wesentlich, um die Aussagen des Angeklagten und anderer Zeugen zu bestätigen oder zu widerlegen.


5. Überwachungsmaterial

Videoaufnahmen von Überwachungskameras in der Nähe des Tatorts können von unschätzbarem Wert sein. Sie können den tatsächlichen Angriff erfassen oder die Bewegungen des Angeklagten und des Opfers vor und nach dem Vorfall zeigen.


6. Digitale Beweise

Digitale Daten wie Textnachrichten, E-Mails oder soziale Medien können Hinweise auf das Motiv des Täters, vorherige Drohungen oder die Beziehung zwischen Täter und Opfer liefern. Auch Standortdaten von Smartphones können die An- oder Abwesenheit der Beteiligten am Tatort bestätigen.


7. Einlassung des Beschuldigten
Gibt der Beschuldigte ein Geständnis ab oder werden die Tatumstände abweichend erläutert, kann dies ein Beweismittel für oder gegen die Schuld darstellen.

8. Fazit

Die Zusammenführung dieser Beweismittel erfordert eine sorgfältige und methodische Herangehensweise, um sicherzustellen, dass die gesammelten Informationen präzise interpretiert und effektiv im Gerichtsverfahren verwendet werden. Für die Verteidigung und die Anklage gleichermaßen ist das Verständnis dieser Beweismittel und ihrer möglichen Einschränkungen entscheidend, um eine fundierte Argumentation vor Gericht führen zu können. 


9. Unsicherheiten in der Beweisführung

Die Rechtsprechung erfordert eine solide Beweisbasis für die Annahme eines Tötungsvorsatzes. Unklarheiten in der Beweislage, insbesondere wenn keine eindeutigen Beweise für die Intention des Täters vorliegen, können dazu führen, dass schwerwiegendere Anklagepunkte wie Mord oder Totschlag nicht haltbar sind.

So wie bei einem kräftigen Schlag mit einem Baseballschläger ist auch bei einem gefährlichen Messereinsatz die Unfähigkeit, die Kraft genau zu dosieren und somit die Schwere der resultierenden Verletzungen zu kontrollieren, ein bedeutendes Indiz, das auf einen bedingten Tötungsvorsatz hinweisen kann. Wenn die Begründungen im Urteil darauf hindeuten, dass der Richter die besondere Gefährlichkeit des dem Angeklagten zur Last gelegten Angriffs nicht ausreichend gewichtet hat, kann dies als Bewertungsfehler angesehen werden, der eine Aufhebung des Urteils erforderlich macht. In einem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall drang der Angeklagte mit seinem Messer in die Halswirbelsäule bis zum Rückenmark vor. Die doppelseitig geschärfte, relativ schmale und kurze Klinge war aufgrund der körperlichen Stärke des Angeklagten besonders dazu geeignet, tiefer in die Halswirbelsäule einzudringen und hätte bei nur minimal erhöhtem Kraftaufwand den Tod unmittelbar herbeiführen können. Die Art und Weise, wie der Angeklagte das Messer führte – eine dem Boxen entlehnte Schwingbewegung – ließ eine präzise Kontrolle der eingesetzten Kraft nicht zu. Deshalb blieb es dem Zufall überlassen, und es war nicht dem Willen des Angeklagten zuzuschreiben, dass das Rückenmark und die Wirbelsäule nicht weiter durchtrennt wurden. Es hätte stichhaltige Belege dafür geben müssen, dass der Angeklagte ernsthaft darauf vertraut hatte, dass der Geschädigte nicht sterben würde. Das Landgericht stellte jedoch solche Beweise in seinen Urteilsgründen nicht fest. 



Einzelfallbetrachtung des Tötungsvorsatzes

Ob der Einsatz eines Messers unter objektiv lebensgefährlichen Umständen als bedingter Tötungsvorsatz zu werten ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab:

  • Die physischen Eigenschaften des Messers (Länge, Schärfe)
  • Die Art der Anwendung (z.B. Stichrichtung, Kraftaufwand) 
  • Klingenlänge und Wucht der Stiche
  • Zielrichtung und Stichführung
  • Die Anzahl und Platzierung der Stiche 
  • Art und Schwere der Verletzungen
  • Kontext des Messereinsatzes (kontrolliert vs. turbulente Situation) 


In chaotischen Auseinandersetzungen, in denen Messer ungezielt eingesetzt werden, muss sorgfältig geprüft werden, ob wirklich ein Vorsatz zum Töten vorlag. Hier spielen auch Alkohol- und Drogenkonsum sowie emotionale Zustände des Täters eine wichtige Rolle. 


Einzelne Stiche, die in einer spezifischen Situation ausgeführt werden, wie etwa in einer Auseinandersetzung, müssen im Kontext betrachtet werden. Selbst ein tiefgehender Stich muss nicht zwangsläufig einen Tötungsvorsatz bedeuten, wenn die Gesamtumstände eine andere Deutung zulassen.


Bedeutung von oberflächlichen Verletzungen

Oberflächliche Verletzungen können auf eine geringere Intensität der Angriffsabsicht hinweisen. Wenn keine tiefen oder lebensbedrohlichen Wunden festgestellt werden, könnte dies anzeigen, dass der Täter möglicherweise keine schwere Verletzung oder den Tod des Opfers beabsichtigte. Zum Beispiel spricht eine geringere Schnitttiefe (bei nur 3 cm bei dreifacher Klingenlänge) gegen einen Stich mit großer Wucht. Von einem Tötungsvorsatz kann auch eher nicht gesprochen werden, wenn sich die Stiche auf den Oberarm konzentrierten - dann könnte die Tiefe und Verletzung auch erheblich sein, ohne dass hieraus ein Tötungsvorsatz geschlossen werden könnte. Auch kann eine Rolle spielen, ob der Schnitt lediglich parallel zum Körper durchgeführt wurde oder vertikal in den Körper stechen sollte. 



Analyse von gezielten Messerangriffen auf bestimmte Körperbereiche in Bezug auf den Tötungsvorsatz

Herz

Ein gezielter Stich in kritische Körperregionen wie das Herz weist oft auf eine klare Tötungsabsicht hin. Der BGH sieht in solchen Fällen regelmäßig einen Tötungsvorsatz, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, die diese Annahme relativieren.


Kopf und Hals

Messerangriffe auf den Kopf und den Halsbereich sind besonders kritisch zu betrachten, da sie aufgrund der dort befindlichen lebenswichtigen Organe und Gefäße meist auf eine hohe Tötungsabsicht schließen lassen.

Rücken
Bei kraftvollen Stichen mit einem Messer, das eine Klingenlänge von 11 cm aufweist, in den oberen Rücken eines nichtsahnenden Opfers, welche zu schwerwiegenden Verletzungen führen, neigt der Bundesgerichtshof tendenziell dazu, zumindest von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen. Eine andere Beurteilung ergibt sich bei einem Stich, der nicht lebensgefährlich ist, wie einem Stich in den unteren linken Rückenbereich, oder wenn der Stich einmalig und mit deutlich reduzierter Kraft erfolgte oder im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung unter Schülern während einer psychischen Ausnahmesituation gesetzt wurde. Aus der Perspektive der Verteidigung sollte stets berücksichtigt werden, dass Stichverletzungen im Rücken auch entstehen können, wenn die Kontrahenten einander direkt gegenüberstehen und das Opfer sich vorwärtsbeugt oder dreht.

Flanke
Rechtsprechungen legen dar, dass kein bedingter Tötungsvorsatz vorlag, wenn der Angeklagte während eines heftigen Streits einem dazwischentretenden Dritten mit einem Klappmesser einen Stich in die linke Flanke versetzte. Dieser Stich, etwa 2 cm lang und leicht schräg, öffnete die linke Brusthöhle des Betroffenen, was zu zunehmender Atemnot und einer potenziell lebensbedrohlichen Verletzung führte. Nach fünf Tagen im Krankenhaus heilten die Verletzungen vollständig. Das Schwurgericht erkannte an, dass der Angeklagte das Messer ohne gezielte Absicht eingesetzt hatte und lediglich darauf abzielte, das Eingreifen des Geschädigten zu unterbinden, ohne eine schwerwiegende Verletzung beabsichtigen oder billigend in Kauf nehmen zu wollen. 


Rückschlüsse der Tatmotivation auf den Tötungsvorsatz

 Wenn dem abhängigen Täter das Wohl des Opfers gleichgültig ist, weil er dringend Geld für Drogen benötigt, selbst auf das Risiko hin, lebensgefährliche Stichverletzungen zu verursachen, kann dies als Akzeptanz der möglicherweise tödlichen Konsequenzen seines Handelns gedeutet werden. Wenn der Täter einem Opfer mit der Absicht, ihm eine Lektion zu erteilen, einen kräftigen Stich in den Oberbauch versetzt, ist eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung angemessen. Ein bedingter Tötungsvorsatz ist weniger wahrscheinlich, wenn der Täter ohne gezielte Absicht sticht, um das Eingreifen eines Dritten zu verhindern, oder wenn er nicht ausschließlich aus Ärger über vorangegangene Beleidigungen handelt, sondern auch um eine erneute Konfrontation mit der später verstorbenen Person zu vermeiden und sich somit zu verteidigen. 


Einflussnahme von Substanzen auf die Bewertung des Tötungsvorsatzes

Obwohl im Normalfall drei gezielte Messerstiche in Brustkorb und Rumpf des Opfers ausreichend wären, um einen bedingten Tötungsvorsatz ohne weitere detaillierte Begründung anzunehmen, könnten spezielle Umstände im Tatbild Zweifel aufkommen lassen, ob der Angeklagte sich der Lebensgefährlichkeit seiner Handlung bewusst war oder den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen hat.

Die Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes ergibt sich auch in solchen klaren Fällen nicht automatisch, insbesondere wenn besondere Bedingungen wie eine hohe Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt von 3,5 Promille vorliegen, der Täter Erste-Hilfe-Maßnahmen wie Mund-zu-Mund-Beatmung durchgeführt hat und zudem Ausdrücke des Bedauerns geäußert wurden. 



Einflussnahme weiterer Umstände auf die Bewertung des Tötungsvorsatzes

Auch wenn der Täter seinem Gegner mit einer schlagenden Bewegung einen Messerstich in den linken Brustkorb zugefügt hatte, sodass das Messer unterhalb der linken Achsel durch die Rippenbögen in den Körper eindrang und schwere Verletzungen verursachte, hält der Bundesgerichtshof es für rechtlich unbedenklich, dass das Schwurgericht aufgrund einer Gesamtbewertung der speziellen Umstände lediglich von einem direkten Vorsatz zur Körperverletzung ausgegangen ist, statt einen bedingten Tötungsvorsatz anzunehmen.

Zu den Umständen, die dem Angeklagten zugutekamen, gehören unter anderem: 

  • Er befand sich in einem Zustand erheblicher affektiver Erregung,
  • Er war durch Alkohol- und Drogenkonsum stark enthemmt,
  • Er wurde durch Beleidigungen des Gegners spontan zu dem Messerstich provoziert,
  • Er führte den Stich von lebenswichtigen Organen weg,
  • Er war körperlich unterlege,
  • Es gab kein erkennbares Motiv für eine Tötung,
  • Er führte nur einen einzigen Messerstich aus,
  • Er ergriff nicht unmittelbar nach der Tat die Flucht. 



Rechtliche Konsequenzen und Strafzumessung

Die strafrechtliche Bewertung und die daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen für den Täter hängen von einer gründlichen Untersuchung aller Fakten und Umstände ab. Hierbei ist eine genaue Abwägung erforderlich, um zu einer gerechten und angemessenen Entscheidung zu kommen.

Die Beurteilung von Messerangriffen im strafrechtlichen Kontext erfordert eine detaillierte Betrachtung vielfältiger Aspekte. Jeder Fall muss individuell analysiert werden, um festzustellen, ob ein Tötungsvorsatz vorliegt. Dies umfasst sowohl die objektiven Merkmale des Angriffs als auch die subjektiven Absichten des Täters. Der BGH hebt hervor, dass nur durch eine sorgfältige und umfassende Betrachtung aller Umstände eine korrekte rechtliche Bewertung erreicht werden kann. 


Rechtsanwältin Hannah Funke - Anwalt für Gewaltverbrechen 

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