Fragestellungen: Giftmord
In Zeitungen ist immer wieder die Rede von Giftmordprozessen. Und das verhältnismäßig gar nicht so selten, denn Gift ist ein durchaus gängiges Mittel der Tötung, ohne selbst körperliche Kraft entfalten zu müssen. Landläufig sagt man daher auch, das Gift sei die Mordwaffe der Frau.
Je nach Substanz können Todesfälle so wirken, als seien sie natürlicher Herkunft, beispielsweise ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall. Die Dunkelziffer an Giftmorden könnte daher deutlich höher sein, als man meint.
Giftmordfälle gehören zu den komplexesten und herausforderndsten Verfahren in der deutschen Strafjustiz. Aus der Sicht eines Strafverteidigers ergeben sich spezifische Anforderungen und Strategien, insbesondere im Hinblick auf die Beweismittel, den Nachweis des Tötungsvorsatzes und die damit verbundenen rechtlichen Besonderheiten. Die Verteidigung in einem Giftmordfall erfordert ein tiefes Verständnis forensischer Methoden, eine akribische Analyse der Beweislage und ein hohes Maß an strategischem Geschick.
Beweismittel im Giftmordfall
Die Beweisführung in Fällen von Giftmord ist oft schwierig, da Gift im Gegensatz zu anderen Tötungsmethoden selten offensichtliche Spuren hinterlässt. Hauptbeweismittel sind:
- Toxikologische Befunde: Diese sind zentral für den Nachweis, dass das Opfer vergiftet wurde. Die Analyse von Körperflüssigkeiten und Gewebeproben kann Aufschluss über die Art des Gifts und die verabreichte Menge geben. Als Verteidiger muss man die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der verwendeten toxikologischen Tests kritisch prüfen und gegebenenfalls durch unabhängige Experten hinterfragen lassen.
- Ermittlung der Giftquelle: Die Herkunft des Gifts zu bestimmen, ist oft ein kritischer Punkt in der Beweisführung. Hier kann die Verteidigung ansetzen, indem sie alternative Szenarien und Quellen aufzeigt, die nicht mit einer Schuld des Angeklagten in Verbindung stehen.
- Nachweis der Verabreichung: Wie das Gift verabreicht wurde, ist oft schwer zu beweisen. Möglichkeiten reichen von der Beimischung in Nahrung oder Getränke bis hin zu weniger direkten Methoden. Die Verteidigung kann hier argumentieren, dass es plausible alternative Erklärungen für die Anwesenheit des Gifts gibt oder dass die Handlungen des Angeklagten mit einer unschuldigen Erklärung vereinbar sind.
- Zeugenaussagen
- Videoaufzeichnungen
- Einlassung des Beschuldigten
- Funde bei Durchsuchung des Beschuldigten
- Suchverläufe des Beschuldigten
- Kaufnachweise des Beschuldigten
uvm.
Tötungsvorsatz
Der Nachweis des Tötungsvorsatzes ist eine der größten Herausforderungen in Giftmordfällen. Vorsatz bedeutet, dass der Täter den Tod des Opfers als Folge seiner Handlung für möglich gehalten hat und es trotzdem gebilligt hat. Eine besondere Art des Vorsatzes ist die Absicht. Dies zu beweisen, erfordert oft mehr als nur den Nachweis, dass der Angeklagte das Gift beschafft oder verabreicht hat:
- Vorsätzliche Handlung: Die Staatsanwaltschaft muss zeigen, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat, um das Opfer zu töten. Die Verteidigung kann versuchen, Zweifel an dieser Absicht zu säen, indem sie alternative Motive oder Erklärungen für das Verhalten des Angeklagten anbietet.
- Bewusstsein der tödlichen Wirkung: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Nachweis, dass der Angeklagte die tödliche Natur des Gifts kannte oder jedenfalls für möglich hielt. Die Verteidigung kann argumentieren, dass der Angeklagte nicht wusste, dass die Substanz tödlich war oder dass er die Dosierung falsch eingeschätzt hat.
- Motive: Da häufig jedenfalls eine bestimmte Nähebeziehung zum Opfer bestand, können sich hieraus Motive ableiten.
Fälle zur Veranschaulichung des Tötungsvorsatzes
Ruhigstellen eines Babys
Die Angeklagte gab ihrem wenige Monate alten Säugling über einen längeren Zeitraum zunehmend hohe Dosen des opiatähnlichen Schmerzmittels Tramadol, um ihn ruhigzustellen. Ihre eigene schwere Medikamentenabhängigkeit, die sich in körperlichem Verfall und Verwahrlosung äußerte, führte dazu, dass sie mit der Pflege des Kindes überfordert war. Sie war sich der suchterzeugenden und lebensgefährlichen Wirkung des Medikaments auf den Säugling bewusst, da ihr damaliger Lebensgefährte sie auf die Gefahren hingewiesen und ihr die Warnhinweise des Beipackzettels gezeigt hatte. Trotz ihres Verständnisses für die Risiken setzte sie die Verabreichung hoher Dosen fort. Schließlich starb das Kind an einer Atemlähmung infolge einer Tramadol-Vergiftung.
Das Landgericht hat, vom Bundesgerichtshof nicht beanstandet, festgestellt, dass die Angeklagte vorsätzlich das Kind verletzt, jedoch fahrlässig dessen Tod herbeigeführt hatte. Ein Tötungsvorsatz wurde nicht angenommen, da möglicherweise die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten aufgrund ihrer schweren Abhängigkeit während des Tatzeitraums erheblich eingeschränkt war. Zudem sei ein Gewöhnungseffekt eingetreten, wodurch die Angeklagte subjektiv annehmen konnte, dass die Tramadol-Verabreichung für das Kind nicht tödlich wäre. Bei den kinderärztlichen Untersuchungen des Kindes, zuletzt eine Woche vor dessen Tod, waren keine Auffälligkeiten festgestellt worden.
Schlaftabletten zur Betäubung
Der Angeklagte hatte seiner Ehefrau, die überlegte, sich von ihm zu trennen, 18 Schlaftabletten Lendormin 0,25 mg in ihren Kaffee gemischt, um sie unter allen Umständen daran zu hindern, die Wohnung zu verlassen. Durch das Erhitzen des Kaffees verflüchtigte sich ein Großteil des Wirkstoffs, was zur Folge hatte, dass die Ehefrau außer Müdigkeit keine weiteren Symptome zeigte. Das Landgericht verneinte einen Tötungsvorsatz, da es nicht sicher war, ob sich der Angeklagte der potenziell tödlichen Konsequenzen seiner Handlung bewusst war. Diese Einschätzung wurde jedoch vom Bundesgerichtshof kritisiert. Der BGH wies darauf hin, dass der affektive Zustand des Angeklagten, den das LG berücksichtigt hatte, nicht von der Tatsache ablenken dürfe, dass das Beimischen der Schlaftabletten zum Kaffee eine mehrschrittige und zeitintensive Handlung war, die eine gewisse Planung und Kontrolle über den komplexen Ablauf erforderte. Zudem müsse in Betracht gezogen werden, dass der Angeklagte kurz nach diesem Vorfall seine Ehefrau tatsächlich und mit anderen Mitteln vorsätzlich getötet hatte.
Besonderheiten bei der Verteidigung in Giftmordfällen
Ein entscheidender Aspekt in der Verteidigung ist das Herausarbeiten von Ungereimtheiten und Lücken in der Beweiskette der Anklage. Dazu gehört die kritische Überprüfung der toxikologischen Analyseverfahren und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Des Weiteren muss die Verteidigung aufzeigen, dass die Interpretation der Beweise durch die Staatsanwaltschaft nicht die einzig mögliche ist und alternative Deutungen plausibel sind. Eigene Beweismittel und Wertungen können vorgebracht werden.
Die Verteidigung in einem Giftmordfall erfordert ein umfassendes Verständnis der toxikologischen Wissenschaft, der forensischen Methoden und der rechtlichen Anforderungen an den Nachweis des Tötungsvorsatzes. Es ist entscheidend, dass der Verteidiger alle verfügbaren Beweise genau prüft und effektiv herausfordert, um die Rechte seines Mandanten zu schützen und eine faire Verhandlung zu gewährleisten.
Zur Bewertung der toxikologischen Analyse durch den Verteidiger bedarf es Erfahrung und Expertenwissen und sollte einem spezialisierten Anwalt anvertraut werden.
Rechtsanwältin Hannah Funke - Anwalt für Gewaltverbrechen
Wir arbeiten schwerpunktmäßig im Bereich der Gewaltverbrechen und Kapitalverbrechen. Lernen Sie uns kennen.