Fahrlässige Tötung in der Pflege oder dem medizinischen Bereich

Fahrlässige Tötung im Pflegebereich ist ein gravierendes Delikt, das in Deutschland gemäß § 222 StGB geahndet wird. Es tritt auf, wenn ein Patient aufgrund eines sorgfaltswidrigen Verhaltens von Pflegekräften oder medizinischem Personal stirbt. Als Strafverteidiger ist es essenziell, die komplexen Aspekte eines solchen Strafverfahrens zu verstehen, einschließlich der relevanten Beweismittel und Pflichtverstöße. Als Anwalt ist es wichtig, die Besonderheiten eines solchen Verfahrens zu kennen, einschließlich der möglichen Beweismittel und der Pflichtverstöße, die zur fahrlässigen Tötung führen können.

Definition und rechtlicher Rahmen

Fahrlässige Tötung im Pflegebereich liegt vor, wenn eine Person durch eine Verletzung der im Pflege- und Gesundheitssektor geltenden Sorgfaltspflichten den Tod eines Patienten verursacht. Nach § 222 StGB wird diese Form der fahrlässigen Tötung mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Zentral ist hierbei die Feststellung, dass der Tod des Patienten durch eine vermeidbare Sorgfaltspflichtverletzung verursacht wurde. 


Mögliche Beweismittel

In einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung im Pflegebereich spielen verschiedene Beweismittel eine entscheidende Rolle. Dazu gehören:

  1. Zeugenaussagen: Aussagen von Kollegen, anderen Pflegekräften und gegebenenfalls Angehörigen des Patienten sind von großer Bedeutung. Sie können Einblicke in den Ablauf der Pflege und die Einhaltung der Sorgfaltspflichten geben.
  2. Einlassung / Aussage des Beschuldigten: Möglicherweise berichtet auch der Beschuldigte, wie sich der Vorfall seines erachtens nach entwickelte und dieser ablief. Hieraus könnten sich Ableitungen finden lassen, welche Pflichtverstöße vorgelegen haben könnten. Eine entsprechende Einlassung kann Aufschluss über Patientenverhalten und gewöhnlicher Organisation der Pflegeeinrichtung liefern. Es kann übliche Abläufe plausibel machen und die konkreten Gegebenheiten darlegen, die zu dem möglichen Pflichtverstoß geführt haben könnten. Waren noch andere Personen beteiligt? Haben andere Personen Einfluss auf den Pflichtverstoß gehabt?
  3. Medizinische Gutachten: Diese Gutachten sind essenziell, um die genaue Todesursache zu bestimmen und einen kausalen Zusammenhang zwischen der Handlung der beschuldigten Person und dem Tod des Patienten herzustellen. Sie können Ergebnisse dazu liefern, welche medizinischen Pflichten möglicherweise verletzt wurden und wie sich der Beschuldigte und das Opfer verhalten haben könnten. 
  4. Dokumentation und Akten: Pflegedokumentationen, Medikationspläne und Patientenakten müssen gründlich geprüft werden. Sie enthalten wichtige Informationen über die verabreichten Medikamente und die durchgeführten Behandlungen.
  5. Technische Gutachten: Bei technischen Fehlern, etwa im Zusammenhang mit medizinischen Geräten, sind technische Gutachten notwendig, um die Funktionsfähigkeit und die Handhabung der Geräte zu bewerten.
  6. Videoaufnahmen: In manchen Pflegeeinrichtungen oder Kliniken gibt es Überwachungskameras, deren Aufnahmen als Beweismittel dienen können.



Totschlag oder fahrlässige Tötung?

Fahrlässigkeit im Pflege wird oft durch Verletzung spezifischer Pflichten verursacht.
Bei fahrlässiger Tötung geht es gerade nicht um den Vorwurf, dass der Beschuldigte durch die eigenen Handlungen die Tötung des Opfer für möglich hielt und trotz dessen sein Verhalten auf diese konkrete Art und Weise ausrichtete. Auch geht es in diesem Vorwurf nicht um absichtliches Tötungsverhalten des Beschuldigten.

Hierbei ist es nicht selten von Bedeutung, ob tatsächlich ein fahrlässiges Verhalten vorgelegen hat, also man Pflichten verletzt hat. Oder ob man vielmehr im Bereich der vorsätzlichen Tötung, also des Totschlages gemäß § 212 StGB steht. Letzteres kann schon dann angenommen werden, wenn man den Tod des Patienten durch die eigene Handlung für möglich hält und dieses Risiko billigend in Kauf nimmt. Das kann bei Auffälligkeiten im allgemeinen Ablauf schneller angenommen werden, als man denkt. 
Für diese Annahme müssen sich jedoch objektive Anhaltspunkte finden, eine automatische Annahme verbietet sich schon allein aufgrund der hohen Strafdiskrepanz beider Delikte.

Alleine dieses Risiko macht sorgfältiges Arbeiten besonders wichtig. Es muss von Anfang an beachtet werden, welche Auswirkung die Darlegung welcher Handlung oder inneren Überlegungen oder Annahmen zur Folge haben kann.

 

Pflichtverstöße und ihre Relevanz 

Die Klärung von Pflichtverstößen erfordert ein besonderes Maß an Expertise. Es muss genau herausgearbeitet und ermittelt werden, welche Abläufe, Handlungen und innen Prozesse beweisbar gemacht werden können und welche gerade nicht.

Wichtige Rechtsfragen sind ebenfalls mit besonderer Sorgfalt zu klären:

Waren noch andere Personen beteiligt und wie wirkt sich das auf den Kausalverlauf aus - Haben andere Personen Einfluss auf den Pflichtverstoß gehabt? Welche Vorgaben gab es hausintern? Wie wurden bestimmte Situationen gehandhabt? Gab es eine Sondersituation oder andere Abweichungen im Pflegeablauf, die den Fehler ausgelöst haben könnten.

Welche Pflichten könnte der Beschuldigte nachweislich verletzt haben; fraglich kann sein, ob der Tod durch diesen Pflichtverstoß verursacht wurde, ob der Pflichtverstoß relevant war, ob der Tod vorhersehbar war bei derartigem Pflichtverstoß, ob der Tod auch ohne den Pflichtverstoß eingetreten wäre, und vieles mehr.

Pflegekräfte und medizinisches Personal unterliegt ganz besonderen Pflicht, Anforderungen, Abläufen, aber auch besonderen organisatorischen Besonderheiten durch den Alltag und die Massenbearbeitung von Patienten.

Typische Pflichtverstöße sind oftmals:

  1. Falsche Medikamentenverabreichung: Die Verabreichung eines falschen Medikaments oder einer falschen Dosierung kann fatale Folgen haben. Hier muss geprüft werden, ob ein Versehen oder eine systemische Schwäche in der Medikationsvergabe vorliegt.
  2. Fehlbehandlungen: Dazu gehören beispielsweise das Verwechseln von Patienten oder das Unterlassen notwendiger Behandlungen. Es gilt zu klären, ob die Fehlbehandlung auf individueller Fahrlässigkeit oder organisatorischen Mängeln beruhte.
  3. Falsche Beschriftungen: Falsche Beschriftung oder Bereitstellung von Medikamenten. Falsche Bezeichnung von Patienten. Falsche Beschriftung von Diagnosen oder Behandlungsplänen. 
  4. Unvorhergesehene Abweichungen in den Arbeitsabläufen: Erheblich abweichende Arbeitsabläufe, auf die man sich gewöhnlicherweise durch die herrschenden Arbeitsstrukturen verlassen können musste. Es ist anders zu bewerten, wenn man Teilarbeitsschritte gewohnt durchführt und dabei vertraut, dass die Vorarbeit richtig geleistet wurde als im Vergleich dazu der eigene Arbeitsbereich aus Überarbeitung oder Unaufmerksamkeit falsch bearbeitet wurde. Hierzu ist besonders wichtig, was man hätte erkennen müssen oder wie weit der Vertrauensbereich hinsichtlich anderer Arbeitstätigkeiten für den konkreten Patienten führen darf.
  5. Organisationsfehler: Überlastung des Personals, mangelhafte Dokumentation und unzureichende Schulungen sind häufige Ursachen für Fehler. Diese Faktoren können als mildernde Umstände geltend gemacht werden, wenn sie systematische Mängel aufzeigen.
  6. Nichteinhaltung von Hygienevorschriften: Verstöße gegen Hygienevorschriften können ebenfalls tödliche Infektionen zur Folge haben. Es muss festgestellt werden, ob diese Verstöße auf Fahrlässigkeit oder unzureichende Arbeitsbedingungen zurückzuführen sind. 

 

Verteidigungsstrategien

Die Verteidigung in einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung im Pflegebereich erfordert eine gründliche Analyse der Beweismittel und eine sorgfältige Prüfung der Umstände des Vorfalls. Zu den möglichen Verteidigungsstrategien gehören:

  1. Anfechtung der Beweismittel: Medizinische und technische Gutachten sowie Zeugenaussagen können fehlerhaft oder unvollständig sein. Eine gründliche Prüfung und gegebenenfalls die Einholung eines Zweitgutachtens sind oft entscheidend.
  2. Kausalitätsprüfung: Es muss nachgewiesen werden, dass der Pflichtverstoß des Beschuldigten tatsächlich ursächlich für den Tod des Patienten war. Hier kann es hilfreich sein, alternative Todesursachen aufzuzeigen oder darzulegen, dass der Tod unvermeidbar war.
  3. Beeinflussung durch unvorhergesehene Arbeitsabläufe oder Fehlern anderer: Da man nicht selbst die gesamte Pflegeeinrichtung oder Klinik bearbeitet, sondern Behandlungen oftmals ein Zusammenspiel unterschiedlicher Menschen sind, können vermeintlich kleine Fehler Dritter erhebliche Auswirkungen auf die eigene Arbeitsleistung haben. Führt dies dann zum Tod, muss ermittelt werden, ob man sich hätte anders verhalten müssen - ob die Fehler sich abgezeichnet haben, oder ob man auf die richtige Arbeitsleistung anderer hätte vertrauen dürfen.
  4. Rechtliche Widerlegung eines Pflichtverstoßes: Ein Pflichtverstoß unterliegt juristischen Anforderungen. Hierzu sind zahlreiche Details von erheblicher Bedeutung. Die Behandlung dieser Details und die sich aufwerfenden Rechtsfragen können einen Pflichtverstoß auf rechtlicher Ebene zu Fall bringen.
  5. Mildernde Umstände: Faktoren wie Überlastung des Pflegepersonals, unzureichende Schulungen oder organisatorische Mängel können als mildernde Umstände vorgebracht werden.
  6. Verfahrensfehler: Jegliche Fehler im polizeilichen oder gerichtlichen Verfahren, etwa bei der Beweissicherung oder der Zeugenvernehmung, können zur Entlastung des Beschuldigten beitragen. 



Rolle eines Verteidigers

In diesen Verfahren geht es im Regelfall zentral um die Frage der Fahrlässigkeit. Hierbei sind nicht nur die Beweisbarkeit von Pflichtverletzungen entscheidend, sondern oftmals auch bedeutende Rechtsfragen. Es stehen Fragen zu Kausalitäten im Raum, Pflichtwidrigkeitszusammenhänge, objektive Zurechnungen, Vorhersehbarkeiten, rechtmäßige Alternativverhalten und weitere Rechtsfragen, die eine juristische Ausbildung erforderlich machen. Das ist auch der Grund, wieso derartige Vorwürfe unter Anwaltszwang stehen. Auch müssen im Regelfall Gutachten analysiert werden können, rechtsmedizinische Problemstellungen herausgearbeitet werden und im Zweifel die geeignete Strafzumessung aufbereitet werden. 

Es müssen fundierte Kenntnisse im Bereich medizinischer Abläufe, Auswirkungen und Behandlungen bestehen. Es müssen allgemeine organisatorische Kenntnisse zu konkreten Pflegeabläufen bestehen und beurteilt werden können, ob die konkreten Abläufe in der konkreten Einrichtung mit den konkreten Vorgaben auch diesen Standards entsprechen, oder ob strukturelle Probleme mitursächlich waren.

All dies erfordert erfahrenes und präzises juristisches Handwerk und sollte daher Anwälten für Gewaltdelikte überlassen werden.

Auch wenn Beschuldigte oft selbst mit den Folgen stark zu kämpfen haben - ob körperlich oder psychisch, so sollte ein Verteidiger niemals bei Verfahrensbeginn vorschnell Hoffnungen streuen. Wir wissen, dass gerade diese Vorwürfe nach mentaler Entlastung lechzen. Jedoch kann kein Verfahren bei Verfahrensbeginn seriöserweise vorhergesehen werden. In derartigen Verfahren haben kleinste Beweisabweichungen erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung von den zuvor aufgeführten Rechtsfragen. Beweismittel können erst im Prozess annähernd sinnvoll beleuchtet werden; es benötigt die Hinzuziehung und Analyse von Sachverständigen und erst mit Entwicklung des Prozesses können sich Tendenzen ergeben. 
Unsere Kanzlei ist absoluter Gegner von falschen Hoffnungen und Versprechungen. Wir wissen, wie einfach es sein kann, hierdurch ein gutes Gefühl zu vermitteln, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Jedoch ist gerade dies der Trugschluss - Vertrauen Sie einem Anwalt mit Kompetenz - jemand, der weiß, was er tut. Selbstredend steht dabei auch Ihre Gesundheit im Vordergrund, aber nicht auf diesem falschen Weg.

 

Rolle eines Hinterbliebenenanwalts

Wie auch ein Strafverteidiger hat der Anwalt, den sich Hinterbliebene (Familie, Angehörige des Todesopfers) nehmen können - ein sogenannter Nebenklagevertreter - dieselben Korrektivaufgaben. Auch auf unserer Seite soll ermittelt werden, wie der Hergang sich gestaltete, um die erforderliche Gerechtigkeit für das Opfer zu schaffen. Es soll natürlich verhindert werden, dass sich der Beschuldigte aus der eigenen Verantwortung herauswindet - soweit sie denn besteht. Hierzu wird ebenfalls auf die Beweissituation eingewirkt, zu Rechtsfragen Stellung bezogen und Ähnliches. Es geht darum, die potentiellen Interessen des Opfers über dessen Angehörigen zu vertreten und verwerfliches Verhalten des Beschuldigten entsprechend zu sühnen. Es geht darum, nicht nur Publikum des Verfahrens zu sein, sondern aktiv mitzuwirken. Am Ende ist der Hinterbliebenenanwalt der einzige tatsächliche Interessenvertreter des Todesopfers - denn Gericht und Staatsanwaltschaft sind zur Neutralität verpflichtet.


Fazit

Ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung im Pflegebereich erfordert von den Anwälten detailliertes Wissen über die rechtlichen Rahmenbedingungen, die möglichen Beweismittel und die typischen Pflichtverstöße. Durch eine sorgfältige Analyse und eine strategische Herangehensweise kann eine effektive Verteidigung entwickelt werden, um die Interessen des Beschuldigten bestmöglich zu vertreten. Es gilt, sowohl die individuellen als auch die systemischen Ursachen der Sorgfaltspflichtverletzungen zu berücksichtigen und entsprechend zu argumentieren.



Rechtsanwältin Hannah Funke - Anwalt für Gewaltverbrechen 

Wir arbeiten schwerpunktmäßig im Bereich der Gewaltverbrechen und Kapitalverbrechen. Lernen Sie uns kennen.